This text was graciously donated to Sophie by Dr. Albrecht Classen, University of Arizona.
1. HERR Gott zu meiner hülff gedenck, thu mir deiner hülffe schein,
das ich mög betrachten das leiden des Sohns dein
Das er gelidten hat zur Vesper stunden,
damit er vns von Sünden hat entbunden.
2. Das leiden Jhesu Christ hub sich also an,
da er von Bethanien gegen Hierusalem kam
Vn(d) war mit seinen Zwölffboten zu tisch gesessen
vnd wolt mit jnen das Osterlemblein essen.
3. Er sprach ‘mit begirt hab ich begert zu essen dis Lemblein
mit euch, meine lieben Jünger, fur dem leide(n) mein.
Doch wirt ewer einer mein Verreter werden
vnd mich in meiner Feinde hende geben’.
4. Die Jünger erschrocken sere, sie sprachen den HERREN an
‘bin ichs, lieber HErre, der ich das solle thuen?’
‘Meister, bin ichs?’ sprach Judas, ‘thu ich fragen’.
Jhesus sprach ‘du thust es selber sagen’.
5. Vnter den Jüngern ward ein zanck, wer der groeste solt sein:
der Herre stund auff vom Tische, leget ab die Kleider sein,
Er that bald Wasser in ein Becken gissen,
er wusch jhn jhre Fuesse vnd thet sie jhnen darnach wischen.
6. Er sprach ‘jhr heist mich Meister, Ich bins vnnd ewer HERR,
hab euch ewere Fuesse gewaschen vnnd knie fur euch auf Erden,
Vnd hab euch hiermit ein Exempel gegeben,
das jhr in liebe demüthiglich solt leben’.
7. So bald der Herr wider zu Tische sass,
er nam das Brodt in seine Hand vnd gesegnet das:
‘Nempt vnd esset, das ist mein Leib, denckt eben,
der fur euch in den Todt wirt gegeben’.
8. Er nam den Kelch in seine Hand, darinnen was der Wein,
er thet jn benedeien, dancket Got dem Vater sein:
‘Nembt vnd trinckt den Kelch in meinem Blute,
das vergossen wird vielen Sündern zu gute’.
9. Mit betruebtem Geist sprach er zu jn ‘ich sage euch gantz verwar, verwar = fürwahr
mich wird einer verrahten aus ewer zwölffen Schar:
Des Menschen Sohn gehet nach der Schrifft furware,
dem Verrheter wer gut das er nicht wer gebore(n)’.
10. Petrus winckete Johanni, der thet den Herren fragen,
wer jhn solt verrhaten, das er jm das wolt sagen:
Er sprach ‘sich auff vnd mercke das gar eben,
er ists dem ich den nassen bissen gebe’.
11. Er tunckte das Brot wol in die Salse vnd reicht es Juda hin:
‘was du thuen wilt, das thu baldt, als du es hast im Sinne’.
Er stund auff vnd gieng gar baldt von dannen
in die Heuser Cayphas vnd Annen.
12. ‘Nu ist erklert des Menschen Son vnd Gott würd erklert inn jhm!
ich wil euch nicht verbergen’, sprach er, ‘mein liebsten Söhne:
Die zeit kömpt ich werde mich von euch scheiden,
vnd jr werd sein in jammer vnd leide.
13. Ich werde die welt verlassen vnd gehn zum Vater mein,
euch die stete zu bereiten, das jr solt bey mir sein.
Doch seid getrost, betruebt euch nicht zu sere,
ewer leid wird sich inn frewden keren.
14. Ich wil euch nicht Waisen lassen, ich gehe vnnd kom zu euch,
so werd jr euch vbermassen frewen wonnigleich:
Eine Frawe, wenn sie geberen sol, hat leide,
wenn sie gebirt vergist sie der pein fur frewden.
15. Ich gebe euch zu der letzte ein gebot vnd das ist newe,
das jr ein ander liebet von hertze(n) in gantzer trewe,
Wie ich euch habe geliebet inn meinem leben,
der ich fur euch meinen Leib inn Tod thu geben.
16. Ist das jhr mich habt geliebet, so behalt die rede mein,
so werdet jhr von meinem Vater wider geliebet sein:
Was jr denn bit durch mich wird er euch geben
allhier inn zeit vnd dort das Ewige leben.
17. Ihr werdet alle von mir weichen vnd lassen mich allein,
mein Vater von Himelreich, der wird mir doch beystehen:
Es ist geschrieben, der Hirte wird geschlagen,
so wird man die Scheflein auch verjagen.
18. Ir werdet euch an mir ergern heint in diser nacht,
Sathan hat erbeten das er euch siebe mit macht:
Ich bat für dich, Simon, das bliebe der glaube dein,
so du würdest bekart, soltu du deiner Brueder stercker sein’.
19. Da sprach Simon Petrus ‘O HERR, das soll nicht sein,
ich wil mit dir sterben, du liebster Meister mein!’
Der HErre sprach ‘das wird sich heint noch wol ereugen: ereugen = beweisen
ehe der han kreet wirstu mein dreiens verleucken’. verleucken = verleugnen
20. Das hat, Gott, dein Son gelidten fur vns zu Vesper zeit;
ich bitt dich durch sein Leiden, mach vns von Sünden queit, queit = quitt, frei
Hilff das wir furt alle Sünde meiden
vor welche er so schmertzlich hat wollen leiden.
Erste Complet
21. ER thet ein Lobgesang sprechen mit den Jüngern sein,
er ging wol auff den Oelebergk mit angest vnd grosser pein,
Mit zittern klagt er den Jüngern seine not,
er sprach ‘mein Seele ist betruebt bis in den Todt.
22. Bleibt allhier, vn(d) wacht mit mir, ich wil beten gan’.
er fiel nider auff seine Knie, betet Gott seinen Vater an,
‘Ist es möglich, las den Kelch von mir gehen,
doch nicht mein will, sondern der deine sol geschehen’.
23. Er stund auff von dem Gebete, er sprach an die Jünger sein
‘Simon, thustu schlaffen? Wo ist die zusage dein?
Wacht vnnd beth, der Versuchung zu entgehen,
der Geist ist bereit, das Fleisch kranck zu widerstehen’.
24. Der HERRE gieng hin zum andern mahl vnd sprach ‘O Vater mein,
ist es dein libster wille, so erlös mich von der pein.
So dirs gefelt, so wil ich gerne leiden,
dein Göttlicher wille sol allewege bleiben’.
25. Der Herre stund auff von seinem Gebet zu dem andern mahl,
seine Jünger warden entschlaffen, sie namen seiner nicht war,
Der Herre der thet sie aber weiter fragen,
sie wusten vor leide nicht was sie solten sagen.
26. Er gieng hin zu dem dritten mahl, fiel vff das Antzlitz sein:
‘Vater, soll ich je leiden, so geschehe der wille dein!’
Da ward der HErre inn Todes noth gesetzt,
das er vor engsten Blutstropffen schwitzt.
27. Ein Engel kam vom Himel vor de(m) Herrn stan,
er thete den Herren stercken vnd sprach jhn troestlich an,
er stund wider auff vnnd kam zun Jüngern gegangen:
‘schlafft vnd ruhet ihr? die zeit die ist nicht lange’.
28. Weil er mit jhn redte Judas der kam dar,
mit Spiessen vnd mit Schwerten bracht er eine grosse Schar:
‘Steh auff, wir gehn, den(n) Judas der kömpt dratte,
vnd wil mich inn der Sünder hende verraten’.
29. Das hat; Gott, dein Sohn gelidten fur vns zur Complet zeit:
ich bitt dich durch sein Leiden, mach vns von sünden queit,
Hilff das wir furt alle Sünde meiden,
vor welche er so schmertzlich hat wollen leiden.
Zur Metten
30. Herre Got, zu meiner hülff gedenck, thu mir deiner hülffe schein,
das ich möge betrachten das leiden des Sohnes dein
Das er gelidten hat zur Metten stunde,
damit er vns von Sünden hat entbunden.
31. Der Herre gieng jhn entgegen, er sprach ‘wen wolt ihr han?’
‘Jhesum Nazrenum, den wollen wir reden an’.
‘Ich bins’, sprach er, ‘das rede ich ahne geferde’.
sie tratten zu ruck vnd fielen an die Erde.
32. Er sprach ‘ wen thut jr suchen? das solt jr sagen mir’.
‘Jhesum Nazarenum, den wollen wir haben schir’.
‘Ich bins’, sprach er, ‘dashab ich euch verjehen,
so jr mich sucht, so last die andern gehen’.
33. Judas ging hin zum Herren vnd wolt jhn gruessen,
vnd er sprach ‘Ane Rabi’ vnd thet jhn küssen.
Jhesus sprach ‘freund, warumb kömstu so spate?
Judas, mit dem Kuss thustu mich verraten?’
34. Petrus zog aus sein schwerd, hieb Malcho ab sein Ohre,
der Herre thet jn anrueren, macht jn gesunt furware:
Er sprach zu jm ‘steck dein Schwerd in die Scheiden,
wer mit dem schwerd ficht, den wird das Schwerd beleiden.
35. Sol ich den Kelch nicht trincken den mir der Vater gab,
wie würde die Schrifft erfüllet auch inn allen worten?
Du weist, das ich meinen Vater wol möchte bitte(n)
das er mir zwölff schar vnd mehr der Engel schickte’.
36. Er sprach ‘als zu einem Schecher seid jr ausgangen
mit spiessen vnd mit schwerdten, mich zu fangen.
Desgleichen was ich euch im Tempel leren,
doch kund jhr ewer hende an mich nicht keren.
37. Das ist die macht der finsternis vnd ewre stunde’.
da ward der Herr gefangen vn(d) hart gebunde(n),
Da verliessen jhn seine Jünger also balde,
ein jeder lieff da er sich möchte behalten.
38. Do sie nu den HERREN hatten gebunden,
sie furten jhn zu Anna zu den selbigen stunden.
Petrus thet mit furchten hernach gehen,
er verleucknete den Herrn: er hette jn nie gesehen.
39. Da er das dritte verleucknen thet, so balde kreet der han:
Jhesus keret sich vmb vnd sach Petrum an,
Er gedacht sein wort, da ward sein frewde klein,
er ging hinaus, hub schmertziglich an zu weinen.
40. In dem hause Anne haben sie jhm viel leids gethan:
Annas mit gedrange hub jn zu fragen an
‘Wur sind deine Jünger alle geblieben?
Was ist dein Lehr, damit du vns wollest betriege(n)?’
41. Er sprach ‘ich hab in dieser welt offentlich geredt,
im Tempel vn(d) Sinagogen, vn(d) nichts heimlichs gelert,
Da alle Juden sein zusammen kommen:
die thu fragen, die haben es wol vernommen’.
42. Einer von den Dienern mit stoltz herfur brach,
er schlug den HERRN an seinen Mund vnd zornig zu jhm sprach
‘Hoere zu, vnd mercke das gar eben:
soltu einem Bischoff solche antwort geben?’
43. Der HERR als ein sanfftmuetig Lamb antwort jhm züchtiglich,
er sprach ‘hab ich vbel geredt, das vberzeuge mich;
Ist es denn gut, das ich jtzt hab thuen sagen,
warumb hastu mich so hart geschlagen?’
44. Annas sand den Herren gebunden zu Caiphas,
der mit den Schrifftgelerten in seinem hause sas,
Da sie alle waren zusam(m)en kommen
vnd hetten einen falschen rath vber jn genom(m)en.
45. Da kamen viel falscher gezeugen vnd klagten den Herrn an,
er het sein Wunderzeichen mit zeubernus gethan,
Vnd het den Tempel heissen gar zubrechen,
er wolt in dreien tagen den wider machen.
46. Caiphas sprach zum Herren ‘ich beschwere dich bey Gott,
das du vns die Warheit sagen wollest an allen spott:
Bistu Christus, Gottes Sohn, des gebenedeiten?
sage an furwar, bekenn vnd thu nicht leucken’.
47. Er sprach ‘du hasts verjehen, das ich derselbe bin,
aus dem so wirstu sehe(n) des Menschen Son furthin
Zu der Rechten der kreffte Gottes sitzen,
kommen inn Maiestat, Wolcken vnd Blitzen’.
48. Caiphas zureis seine Kleider, er schrey mit lauter stim
‘er hat Gott gelestert, was thun wir mit jhm?’
Sie schreyen alle aus zornigem gemüthe
‘er hat verschuld das man jhn sol tödten!’
49. Sie verbunden jhm sein Angesicht, das sie es nicht sehen an,
wenn er was also lieblich, sie kundten jhn nicht wol schlahen.
Da schlugen sie jhn verbunden also fest,
wer sehrer schlug, der daucht sich sein der best.
50. Sie speiten jhm vnter seine Augen vnd schlugen auff sein hals,
sie sprachen ‘du hast gelert listiglich vnd falsch:
Prophecey, Christe, vnd thu vns das sagen,
wer der ist der dich hat geschlagen’.
51. Das trieben sie die gantze nacht bis an den liechten tag,
des morgens zu der Prime haben sie jhn Pilato bracht
Vnd als ein Vbeltheter dar angegeben:
er het verschuld das man jhm nhem das leben.
52. Das hat, Gott, dein Sohn gelidten vor vns zur Metten zeit:
ich bitt dich durch sein Leiden, mach vns aller Sünden queit,
Hilff das wir furt alle Sünde meiden,
vor welche er so schmertziglich hat wollen leide(n).
Zur Prima.
53. HErr Got, zu meiner hülff gedencke, thu mir deiner hülffe schein,
das ich möge betrachten das Leiden des Sohns dein
Das er gelidten hat zur Metten stunden,
damit er vns von Sünden hat entbunden.
54. Pilatus verwundert sich sehr vnd sahe den Herren an,
er sprach ‘jhr lieben Herren, was hat er boeses gethan,
Das jhr jhn so grimmiglichen her thut brengen
vnd wolt, ich sol jn an ein Creutze hengen?’
55. ‘Er hat vnser Volck verkert von Galileen bissher,
vnd hat sich lassen hoeren, das er ein König wer,
Vnd hat dem Keyser den Zins gewerth zu geben:
nu richt, Her Voit, ob er billich soll leben’.
56. Pilatus nam den HERRN vnd fuert jhn hinein gar schir:
‘bistu ein König der Juden, das soltu sagen mir’.
Er sprach ‘thustu das von dir selber sagen
oder haben es dir andere angetragen?’
57. Antwort jhm ‘ich bin kein Jude, ich habe mirs nicht erdacht,
dein Volck vnd deine Bischoff haben dich zu mir gebracht,
Sie klagen vber dich on alle massen:
was ist die sach, darumb sie dich so hassen?’
58. Er sprach ‘ein Reich ich hab, das ist von dieser Welt nicht,
das kanstu nemen ab, das niemands fur mich ficht,
Wer mein Reich allhie von dieser Erden,
mein Diener die stritten vnnd liessen mich dir nicht werden’.
59. ‘So bist je ein König, das hoere ich offenbar’.
er sprach ‘du thust es sagen, dasselbe vnnd das ist war:
ich bin in dieser Welt geboren zu leben
das ich der Warheit soll zeugnus geben.
60. Vnnd wer aus der Warheit ist, der hoert die Stimme mein’.
do sprach Pilatus ‘was mus die Warheit sein!’
Er gieng zum Volcke vnd thet jn allen sagen
‘ich find an jhm kein schuldt, darmit jhr jhn thut beklagen.
61. Ihr habt einen sitten gehabt vor manchen zeiten lange,
das ich euch vff Ostern los geb einen gefangene(n):
Wolt jhr jhnen haben, ich wil jn euch ledig lassen,
oder Barrabam, den jhr so sehre thut hassen?’
62. Sie sprachen ‘heb auff Jhesum, vnnd gieb vns Barrabam,
vnnd henck jhn an ein Creutze, das wollen wir von dir han:
Er hat vnser Volck ales thuen vorkeren
vnnd hat sie einen falschen Glauben wollen leren.
63. Das hat er angefangen von Galilea bis her’.
da fraget sie Pilatus, ob er Galileisch were:
Er gedacht bald, es würd sich bas gebüren
das jhn der König selber solt verhoeren.
64. Er schickt jhn zu Herodes zu der selbigen stund,
des frewet sich Herodes aus seines Hertzen grundt:
Er hatt den Herren langest begert zu sehen,
er hoffte, es solten zeichen von jhme geschehen.
65. Herodes fraget den Herren mit furwitzigen fragen viel,
der HERR als ein sanfftmuetiges lamb schweig allewege still.
Da ward jhm ein weis Narren kleid angezogen,
darinnen war er gespott vnd hart geschlagen.
66. Herodes sand den Herren wider zu Pilato hin,
er lies jhm dancken sehre, er sprach, er wolls verdienen,
Das er jm den HERRN Jhesum hat thun senden,
er wolt sein freund bleiben bis ans ende.
67. Pilatus sagte zum Volcke ‘ich sage euch sicher war,
ich find an jhm keine schuld, das rede ich offenbar,
Herodes hat jhm kein zeichen des todes gegeben,
ich wil jhn straffen vnd lassen bey dem leben.
68. Das hat, Gott, dein Son gelidten fur vns zur Prime zeit,
ich bitt dich durch sein Leiden, mach vns aller Sünden queit,
Hilff das wir furt alle Sünde meiden,
vor welche er so schmertziglich hat wollen leide(n).
Zur Tertien
69. HERR Gott, zu meiner hülff gedenck, thu mir deiner hülffe schein,
das ich möge betrachten das Leiden des Sohns dein
Das er gelidten hat zur Tertien stunden,
damit er vns von Sünden hat entbunden.
70. Pilatus lies jhn geisslen hart gebunden,
mit Peitzsen vnd mit Ruthen schlugen sie jm viel Wunden,
Das jm das Blut mildiglich thet fliessen
vnd sich vber seinen gantzen leib ergiessen.
71. Sie zogen an dem Herrn ein alt Roth Purpur Kleid,
sie flochten ein Kron von dornen vnd druckten die jhm auff sein heubt,
Sie gaben jhm ein Rohr in seine hende,
sie gruesten jhn mit schlegen vnnd mit schenden.
72. Pilatus fuert den Herren inn ein Fenster stan,
er sprach ‘jr lieben Herren, sehet diesen Menschen an!’
Sie schrieen alle mit wuettender stimme
‘creutzige jhn vnd nim jhn bald von hinne!’
73. Er sprach ‘ich finde an jhm kein schuld, ich find jhn recht vnd schlecht,
nempt jhr jn hin vnd richt jn nach ewrem Recht’.
‘Wir haben ein Gesetz von Gott thun ererben,
nach dem selben Recht mus er warlich sterben:
74. Er hat sich offenbarlich ein Gottes Son genant.
da erschrack Pilatus, es war jm vnbekant:
Er sprach zum Herren ‘was hoere ich weiter klagen!
von wanne bistu, das soltu mir sagen?’
75. Der Herre der schweig stille, er antwort jhm nicht schir,
Pilatus sprach ‘wie geht es zu, das du nicht redest mit mir?
Du weist, das ich gewalt habe, die ist gros,
ich mag dich toedten oder geben los’.
76. ‘Du kanst von dir selber keine gewald vber mich han,
sie sey dir denn gegeben von oben herab,
Darumb haben die viel groesser Sünde begange(n)
die mich dir brachten gebunden vnd gefangen’.
77. Pilatus sahe, das der Juden grim nicht wolt nemen ab
vnd das jhr gros getümmel je lenger je groesser ward:
Da lies er jhnen los Barraban den Buben,
Jhesum Christum antwort er zum tode.
78.Pilatus sas zu gericht, er sprach die Juden an,
‘ewren König werde ich Creutzigen, das stehet euch vbel an’.
Sie sprachen ‘wir haben keinen König mehr,
der Roemische Keyser, der ist vnser Herr’.
79. Pilatus der lies bald wasser bringen,
er wusch fur allem Volck seine Hende:
Er sprach ‘ich bin reine von diesem rechten Blute,
seht jhr mit zu, obs euch kompt zu gute’.
80. Die Juden die waren erfrewet, sie schrigen mit heller stimme
‘heb jhn auff, Creutzige jhn, vnd thu jhn bald von hinne!
Sein Blut sey vber vns vnd vnser Kinder,
thuen wir vbel, wir werdens wol finden’.
81. Sie rissen jhm aus das Purpur Kleid, vernewten jhm die Wunden sein,
sie zogen jhm an sein eigen Rock mit schmertzen vnd mit pein,
Mit zweien Schechern fuerten sie jhn zum Tode,
der Herr der muste sein Creutz selber tragen.
82. Der Herr der kart sich vmbe, er sprach die Frawen an,
‘jhr solt vber mich nicht weinen, ich habe nichts boeses gethan,
Thut vber euch vnd ewer Kinder klagen,
die tage kommen, in den jhr werdet sagen
83. Selig sind die Leibe die nicht habn getragen,
selig sind die Brüste die nicht geseuget haben!
Zu den Bergen, thut vber vns her fallen,
jhr kleinen Hügel, kompt, bedeckt vns allen!
84. Hat Gott dem gruenen holtz nicht vbersehen,
was wird an dem dörren hernach geschehen?
Sie theten dem HErrn wein mit Mirrhen schencken,
er kostet jhn vnd wolt jhn doch nicht trincken.
85. Er trug sein Creutz auff den Kalenbergk mit lieb von hertzen,
sie zogen jm aus sein kleider mit grossen schmertzen:
Dar sass er nacket, blutig vnd elende,
die Ritter hielten die hemmer inn den henden.
86. Das hat, Gott, dein Sohn gelidten fur vns zur Tertien zeit:
ich bitt dich durch sein leiden, mach vns aller sünden queit,
Hilff das wir furt alle Sünde meiden,
vor welche er so schmertziglich hat wollen leiden.
Zu Sexten
87. Herre Got, zu meiner hülff gedenck, thu mir deiner hülffe schein,
das ich möge betrachten das leiden des Sohnes dein
Das er gelidten hat zur Sexten stunde,
damit er vns von Sünden hat entbunden.
88. Er ward mit starcken Negeln an ein Creutz geschlagen
vnd zwischen zweien Schechern inn die hoehe erhaben,
Die Ritter begunden balt sein Kleider theilen,
vnd vmb den gestrickten Rock theten sie spielen.
89. Pilatus schreib ein Vberschrifft, er satzt die auff das Ceutze sein,
in Ebraischer sprach, Griechisch vnd auch Latein,
‘Der ist Jhesus von Nazareth genennet,
der der Juden König wird erkennet’.
90. Dar stund der öberste bischoff, begossen mit blute,
er thet sein hoechstes opffer, vns sündern zu gute,
Er bat ‘Vater, thu jhn die Sünde vergeben,
sie wissen nicht, das sie so vbel leben’.
91. Der Schecher zu der lincken hand spott des Herren schir:
‘bist du ein warer Gottes Sohn, hilff vns vnd selber dir!’
Der ander straffte seine grosse Missethat,
er sprach zu jm ‘vn(d) du fürchst dich nicht fur Got?
92. Das wir beide leiden, das haben wir verschuld,
der Herre hat nicht arges gethan vnd leidet mit gedult’.
Er thet sich balde zu dem HERRN keren:
‘gedencke mein inn deinem Reich, O HERRE!’
93. Da antwort jhm der HErre gantz gnediglich
‘ich sge dir fur ware vnd gantz sicherlich,
Du wirst noch heut mit mir an diesem tage
sein im Paradeis vnd dich wol gehaben’.
94. Der HERRE der sahe vom Creutze seine betruebte Mutter an
vnd den liebsten Jünger sein, beide bey dem Creutze stan:
Er sprach zu jr ‘Weib, sich, das sol dein Son sein!’
vnd zu dem Jünger ‘sich, das ist die Mutter dein!’
95. In der sechsten stund die Son(n)e verlor jren schein,
blutfarbe ward der Monde, sie klagten des herren pein,
Das weret zur Nona dreyer stunden lang,
da der herre an dem Creutze war gehangen.
96. Das hat, Gott, dein Sohn gelidten vor vns zur Sexten zeit:
ich bitt dich durch sein Leiden, mach vns aller Sünden queit,
Hilff das wir furt alle Sünde meiden,
vor welche er so schmertziglich hat wollen leide(n).
Zur Nona
97. Herr Got zu meiner hülff gedencke, thu mir deiner hülffe schein,
das ich möge berachten das Leiden des Sohnes dein
Das er gelidten hat zur Vesper stunden,
damit er vns von Sünden hat entbunden(.)
98. Die Bischoff vnd Gelerten mit grossem schalle,
mit viel hoenischen worten spotten sie sein alle:
‘Vach! du wirst den Tempel Gottes zubrechen
vnd wirst den inn dreyen tagen wider machen!
99. Bistu ein König von Israel, ein warer Gottes Sohn,
steig herab vom Creutze, so wollen wir gleuben dran.
du hoffest zu Gott vnd trawest jm ahne massen,
er wird dich erloesen, oder wird es lassen’.
100. Jhesus schrey mit lauter stim ‘Heli, Heli! Mein Gott,
wie hastu mich verlassen, aller Welt zu spott!’
‘Er rufft Heliam’, sprachen sie, ‘haben wir vernomen,
last vns zusehen, ob Helias wird kommen’.
101. Der HERR der was sehen, das alle ding waren verbracht,
auff das die Schrifft erfüllet würd auch in allem wort: er sprach
‘Mich durst, das klag ich jtzt euch allen’.
sie trenckten jn mit Essig vnd auch mit Gallen.
102. Da der HERR Essig hat entpfangen,
er sprach ‘es ist nu alles volnbracht vn(d) ergangen’.
Er schrey mit grosser stim an seinem ende
‘Vater, ich befehl mein Geist inn deine hende!’
103. Der Vmbhang inn dem Tempel zerreis von oben herab,
das Erdreich thet erbieben, sich öffneten die Grab,
Der Fels zerspielt, darzu die harten Steine,
die Todten stunden auff vn(d) theten den Leuten erscheinen.
104. Das sahe vnd hoerte Centurio, er merckts gar eben,
das der Herr schreiende hat geendet sein leben,
Er sprach ‘das sag ich gantz vnd offenbare,
er ist gewesen ein Son Gottes furware’.
105. Die Juden giengen zu Pilato, sie sprachen ‘gnade, Herre,
es kompt der Oster Sabbath hoch vnd heere:
Vergönn vns, das man jn jhre Beyn zuschlage
vnd das wir sie von den Creutzen nemen abe’.
106. Sie zerschlugen den Schechern jhre beyn, sie litten grosse noth,
da sie zu Jhesu kamen, da was er gleich itzt todt:
Gar bald sie ein Sper inn seine Seitten stiessen,
daraus thet bald Blut vnd Wasser fliessen:
107. Vff das die Schrifft erfüllet wurd, die thut sprechen
‘man soll dem Osterlemlein kein bein brechen’,
Auch hat daruon Zacharius gesprochen
‘sie werden jn sehen, in den sie haben gestochen’.
108. Das hat, Gott, dein Son gelidten fur vns zur Nona zeit:
ich bitt dich durch sein Leiden, mach vns aller Sünden queit,
Hilff, das wir furt alle Sünde meiden,
vor welche er so schmertziglich hat wollen leiden.
Zur andern Vesper
109. Herr Gott, zu meiner hülff gedenck, thu mir deiner hülffe schein,
das ich möge betrachen das Leiden des Sohns dein
Das er gelidten hat zur Vesper stunden,
damit er vns von Sünden hat entbunden.
110. Joseph von Aromathia, ein Edler Hoffeman,
er gieng hin zu Pilato vnd thet jhn reden an,
Er bat, das er Jhesum möchte nemen abe
vnd möchte jhn inn sein eigen Grab begraben.
111. Pilatus schickt nach Centurio vnd fragt jn eben,
ob der HERR Jhesus noch were am leben.
‘Herr, er ist tod’, sprach er, ‘jr solt kein zweiffel han,
er ist gestorben als ein warer Gottes Sohn’.
112. Joseph kaufft ein Leinen Tuch zu der selbigen stund,
Nicodemus bracht edel Salben wol bey hundert Pfund,
Sie namen den HERRN von dem Creutze abe
vnd salbten jhn, wie es sich zimpt, zu dem Grabe.
113. Das hat, Gott, dein Sohn gelidten zu der Vesper zeit:
ich bitt dich durch sein Leiden, mach vns aller Sünden queit,
Hilff, das wir furt alle Sünde meiden,
vor welche er so schmertziglich hat wollen leiden.
Zur Andern Complet
114. Herre Got, zu meiner hülff gedenck, tu mir deiner hülffe schein,
das ich möge betrachten das leiden des Sohnes dein
Das er gelidten hat zur Complet stunden,
damit er vns von Sünden hat entbunden.
115. Sie wunden jhn inn leinen Tuch vnd legten jhn inn das Grab,
darinne er hat geruhet bis an den dritten tag.
Am dritten tag ist er vom tode erstanden,
vns zum leben vnd allen Juden zur schanden.
116. Das hat, Gott, dein Sohn gelidten fur vns zur Complet zeit:
ich bitt dich durch sein leiden, mach vns aller sünden queit,
Hilff, das wir furt alle Sünde meiden,
vor welche er so schmertziglich hat wollen leiden.
Beschluss
117. Nach seinem todt ist er erschienen den liebsten Jüngern sein,
am viertzigsten tage ist er gestigen in Himel ein,
vnd sitzt in der Glori zur Vaters Rechten hand,
hat auch dauon den heiligen Geist gesand.
118. Dauon er hat thun senden seinen heiligen Geist,
in gestalt fewriger Zungen, zu trost der Christenheit,
Das sie sein Göttlich Wort solten verkünden,
in seinem Namen vergeben allen Sündern.
119. Die Christliche Kirche sich anefieng wol zu der selbigen zeit,
darinn Gott hat geboten, das ein Christ mit vleis sein beit,
Bis das er komme zu richten diese Welte,
da er das gute vnd auch das boese wil melden.
120. In der Wolcken wird er sitzen mit Maiestat vnd herrligkeit,
da wird allererst erkennet Jhesu Christi allmechtigkeit:
Fünff wunden, die sie jhm am Creutze haben gestochen,
werden als denn von jhm an Sündern alle gerochen.
121. Es wird der Richter heben an vnd sagen zun Heiligen sein
‘kompt her, jhr Gebenedeiten, vnd nempt den Himel ein!
Geht hin, jhr boesen, inn Abgrundt dieser Helle,
vermaledeiet seid jhr mit dieser hellischen stelle!’
122. Ach Vater in der Ewigkeit, zu der selben stund gedencke,
wie das dein liebster Sohn ans Creutze vor vns ward gehenckt,
Rechen nicht an vns mit zorn die alte schulde,
sondern nim vns auff mit gnaden zu deiner hulde!
123. Ach Christ, du ewige Weisheit schon, wir bitten dich allgemein,
du wolst wol zu der selbigen zeit vnser gnediger Richter sein,
Gedenck was du gelernet hast mit leiden,
vnd hilff, das wir bey dir Ewiglich mögen bleiben!
124. O heiliger Geist, ein Ewiger Gott mit Vater vnd auch dem Sohn,
gedenck an deine Guete vnnd gib vns der selben lohn
Durch Jhesum Christum vnsern Seligmacher,
mit welchem vnnd dem Vater bistu wol vnser Schaffer.