Selbstbericht (Autobiography, Essay)

This text was digitized and graciously donated to Sophie by Dr. Albrecht Classen, University of Arizona. This particular work has been extracted from Classen's Frauen in der deutschen Literaturtgeschichte; the full text is available on this site.

Im Jahre fünfzehnhundert nach Christi Geburt und danach im neun und dreißigsten Jahr zu Ostern [5. April 1439] und zu Pfingsten [24. Mai], als der edle Fürst Albrecht als heiliger Römischer König erwählt und davor schon die Krone von Ungarn erhalten hatte und als die Königin ebenfalls gekrönt worden war, da kam Seiner Gnaden der Herr nach Preßburg [Bratislava] und blieb nicht lange dort. Darauf traf die edle Königin, die Frau Elisabeth von Ofen [Buda] aus bei ihm in Preßburg in seinem Hof ein.  Dann reiste der Fürst [König] Albrecht von Österreich ab und kam mit seinem Hof nach Preßburg.  Anschließend sandte Seine Gnaden wieder eine Botschaft nach Wien, worauf man ihm seine jüngste Tochter, Fräulein Elisabeth mit ihrem Hofstaat nach Preßburg brachte.  Dies geschah, als ich, Helene Kottannerin, auch dort war, und damals wurde ich ebenfalls zum Hof des Königs Albrechts und seiner Ehefrau, der edlen und allergnädigsten Herrin, gesandt.  Kurz darauf brachen wir alle mitsamt der Königin und den jungen edlen Fürstinnen auf und zogen nach Ofen.  Wenige Zeit später fuhren wir über die “Deutschen” [Name] nach Ofen, als das deutsche Heer eine Niederlage gegen die Hussiten erlitt.  Bald darauf starb der Bischof von Gran namens Georg der Pelocky.  Die Heilige Krone [des Königs] befand sich zu Gran, und da kam König Albrecht zu den Fürsten der Familie Pelocky, die Brüder des Bischofs von Gran, die damals Gran innehatten.  König Albrecht fand dort die Heilige Krone und auch das Reichsgewand vor.  Die Herren von Peloczy hatten eine Beratung miteinander und sandten die ehrbare Botschaft zum Schloß von Gran, zum Domkapitel, und dazu viele Nachrichten.  Da stellte es sich heraus, daß sie nicht dem König Albrecht die Heilige Krone vorenthalten wollten, sondern daß sie gegen den König [d.h. gegen die Königsmacht] eingestellt waren.  Merkt euch, zu der Zeit zeigte es sich, daß die Königin Frau Elisabeth schwanger geworden war und [später] dem König Albrecht eine edle Frucht gebar, dessen Name Lassla war [Ladislaus Postumus]. 

 
Als sich die Nachricht um die Heilige Krone verbreitet hatte, schickte der edle König Albrecht seine jüngste Tochter, die edle Fürstin Jungfrau Elisabeth, zum Schloß zu Plintenburg, und ich, Helene Kottannerin, fuhr auch mit.  Noch am gleichen Tag begab sich der edle König Albrecht mit seiner Ehefrau, der edlen Königin, nach Gran zur Heiligen Krone, die ihm dort überantwortet wurde.  Dann reiste Seine Gnaden zu den Soldaten in Zigedein.  Nachdem er sich dafür vorbereitet hatte, begab er sich zuerst zur Plintenburg zusammen mit seiner Ehefrau, der edlen Königin, und führte die Heilige Krone mit sich zu seiner jüngsten Tochter, der Fürstin.  Eine größere Anzahl von ungarischen Adligen zogen mit, und sie brachten die Heilige Krone mit sich und trugen sie in das Gewölbe, das von fünf Seiten fest umgeben wurde.  Ich, Helene Kottannerin, war auch dabei und trug die junge Fürstin auf meinem Arm und sah genau, wohin man die Heilige Krone legte.  Darauf wurde das Gewölbe verschlossen und die Tür dorthin fest versiegelt mit vielen Siegeln.  Während dieser Zeit verwalteten die edlen Herren Graf Niklas von Pösing und sein Sohn Graf Jörg die Plintenburg.  Der edle König Albrecht ritt mit seiner Ehefrau, der edlen Königin, aufs Feld und in den Wald von Zigedein. Was danach geschah, weiß man gut, denn bald danach erkrankte der König an der Ruhr.  Der Truchseß ließ ihn wegbringen und zur Plintenburg bringen, wo er ihn im Vorhof [Palas] ins Bett legen ließ.  Darauf kamen die Ärzte von Wien zu ihm.  Sobald Seine Gnaden sich ein wenig besser fühlte, da schickte ihm seine junge Tochter, die Fürstin, ein Hemdchen, das sie selbst getragen hatte.  Er aber sandte das Hemdchen wieder zurück in ihr Haus durch einen Getreuen, einen frommen Mann namens Vinsterel.  Man hatte eine Spange angenäht und das Hemd zu einem Säckchen verarbeitet, in dem sich zwei Bilder und ein Zauberstück befanden, das eine Erbsenschote war.  Danach fuhr die edle Königin nach Ofen zu den Gütern von Ladislaus von Gara, erfüllt von großem Kummer, denn sie hätte es gerne gesehen, wenn der edle König Albrecht bei ihr gewesen wäre. Er sandte ihr aber viele Botschaften, besonders bezüglich für den Fall, daß die Königin nicht zu ihm kommen wolle, daß sie doch zumindest einmal zu ihm käme, bevor er von dannen ging.  Dies war sein größter Wunsch.  Beide empfanden eine große Sehnsucht zueinander.  Darauf reiste Seine Gnaden von der Plintenburg weg.  Dann wollte Seine Gnaden auch noch seine junge Tochter, Jungfrau Elisabeth, sehen und zog nach Gran.  Da wurde seine Krankheit in Langendorf noch schlimmer. Dann starb der edle König und Fürst Albrecht am Abend von Simon und Judas, am Tag der heiligen zwölf Boten [27. Oktober 1439].  Vor Mittag erschien ein ungarischer Adliger genannt ? [Textverlust] auf der Plintenbug bei der jungen Fürstin.  Er wollte sogleich mit der edlen Königin, ihrer Mutter, sprechen und ließ sich nicht abweisen, worauf er die ihm angemessene Antwort bekam.  Er rief die Gnade unserer lieben Frau [Maria] an und sagte der Königin, daß der edle König Albrecht die Heilige Krone von der Plintenburg mit sich genommen habe.  Darüber erschrak Ihre Gnaden sogleich. Sie schrieb darauf an den Graf Niklas von Pösing und seinen Sohn, Graf Jörg, ob dem so wäre oder nicht, das sollte man ihr mitteilen [d.h. ob die Krone noch da sei].  Darauf kamen die zwei vorgenannten Grafen zu mir und nahmen mich in ihr Vertrauen und gingen mit mir zur Tür, durch die man zur Heiligen Krone gelangte.  Da waren alle Siegel noch ganz, und sie schrieben es der Königin.  Sie wollte die Wahrheit selbst erfahren und kam zur Plintenburg, und mit ihr viele ungarische Herren und gingen in das Gewölbe, trugen die Truhen, in denen sich die Heilige Krone befand, nach oben und nahmen sie [die Krone] mitsamt dem Futteral heraus, an dem viele Siegel hingen.  Sie brachen diese auf und nahmen die Heilige Krone heraus und sahen sie gründlich an.  Ich war dabei.  Danach nahmen sie die Heilige Krone und legten sie in eine kleine Kiste.  Darin war auch die andere Krone, mit der man die edle Königin in Ungarn gekrönt hatte.  So befanden sich die zwei Kronen nebeneinander in einer Kiste.  Daneben stand ganz nahe ein Bett, auf dem die edle Königin mit ihrem schweren ungeborenen Kind lag.  Bei ihr im gleichen Zimmer lagen zwei Jungfrauen.  Die eine hieß Barbara, die die Tochter eines ungarischen Adeligen war, die andere hieß die Fronacherin.  Daneben stand ein Nachtbecher und eine Wachskerze, wie es bei den Fürstinnen so Gewohnheit ist. 


In der Nacht stand die Jungfrau auf, und sie sah, daß das Licht umgefallen war und es im Zimmer brannte, und daß die Kiste in Flammen stand, in der sich die zwei Kronen befanden, so daß sie angesengt wurden.  Oben auf der Kiste lag ein blaues, samtenes Polster, in das ein Loch größer als ein Spannen eingebrannt war.  Achtet auf das Wunder: der König, der die Heilige Krone tragen sollte, war noch im Mutterleib eingeschlossen, und die beiden waren kaum zwei Klafter voneinander entfernt, und der böse Feind hätte gerne beide mit dem Feuer geschädigt.  Aber Gott war der Schützer, der sie [die Jungfrau] rechtzeitig aufweckte, während ich bei der jungen Königin lag.  Da kamen die Jungfrauen zu mir, ich sollte gleich aufstehen, es brenne im Zimmer, wo meine gnädige Frau lag.  Ich erschrak sehr, stand sogleich auf und eilte ins Zimmer, das voller Rauch war, und ich dämpfte und löschte das Feuer und ließ den Rauch raus und frische Luft rein, so daß die edle Königin die ganze Nacht schlief.  Am nächsten Morgen kamen die ungarischen Adligen zu meiner gnädigen Herrin, da sagte sie ihnen, wie es ihr in der Nacht ergangen sei, wie es gebrannt habe, und wie die Heilige Krone, dazu auch die andere fast verbrannt wäre.  Die Herren erstaunten sich  darüber und rieten, man sollte die Heilige Krone wieder in die Truhe tun und sie erneut ins Gewölbe tragen, wo sie zuvor gewesen war.  Dies geschah noch am selben Tag.  Darauf wurde die Tür wieder versiegelt wie zuvor.  Aber es waren nicht so viele Siegel wie vorher.  Als dies geschehen war, sandte meine gnädige Herrin nach Graf Jörg von Pösing und verlangte nach den Schlüsseln der Plintenburg.  Die ungarischen Herren wollten, daß sie das Schloß ihrem Vetter, Herrn Lasla übergebe, weil er von Gara stammte.  Dies geschah auch so.  Herr Lasla übernahm das Schloß und besetzte es mit einem Burggrafen.  Als dann die edle Königin wieder mit ihrem Vetter Lasla und den anderen ungarischen Herren nach Ofen ziehen wollte, nahm mich die Gnädige heimlich beiseite und sagte: “liebe und treue Kottannerin, ich übergebe Euch die Verantwortung für meine Tochter und auch die Kammer [d.h. die Schatzkammer]; laßt niemanden dort hinein außer meiner Tochter und Euch selbst.” Sie vertraute mir auch ihre Privatsachen, ihr Halsband und ihre andere Juwelen an, die ich alle in die selbe Kammer brachte, durch die man zur Heiligen Krone gelangte.  Als wir so miteinander sprachen, kam Herr Lasla herbei und auch sein Burggraf und sagte: “Gnädige Herrin, befehlt der Frau [Kottannerin], daß sie mich [Lasla] und auch meinen Burggrafen in die Kammer gehen läßt.”  Meine Herrin antwortete freundlich und sagte zu mir: “Liebe Helene Kottannerin, wenn mein Vetter, Herr Lasla und sein Burggraf in die Schatzkammer wollen, laßt sie dort eintreten.”  Darauf ging der Burggraf zur Tür, an der die Siegel befestigt waren,  nahm ein Tuch und legte es über die Siegel und band das Tuch zu und befestigte sein Siegel daran.  Als dies alles geschehen war, reiste die edle Witwe und meine gnädige Herrin mit ihrem Vetter, Herrn Lasla und mit den anderen ungarischen Adligen nach Ofen, beladen mit einer schweren Last [d.h. mit ihrem ungeborenen Kind] und von vielen Sorgen bedrückt, denn die ungarischen Herren wollten nichts anderes, als daß sie einen Mann nehmen sollte, und sie hatten Ihrer Gnaden viele [Kandidaten] vorgeschlagen, unter denen der König von Polen, genannt Herr [Las] Bladislaus [d.h. Wladislaus III.], und der andere der Sohn des Despoten in Serbien [Lazarus] waren.  Deswegen war die edle Königin sehr betrübt und antworte ihnen u.a. sehr höflich:  “Liebe Herren, gebt mir nicht einen Heiden, gebt mir lieber einen christlichen Bauer.”  Herr Lasla, ihr Vetter, wollte, daß sie den von Polen nehmen sollte.  Darauf erhoben sich alle die ungarischen Adligen und stimmten ihm zu.  Sie aber wollte nicht und gab zur Antwort, sie wollte abwarten, was ihr Gott geben würde, danach wollte sie sich richten, denn all ihre Ärzte hätten gesagt, daß sie mit einem Sohn schwanger ginge, und darauf hoffte sie.  Aber sie konnte die Wahrheit nicht wissen und vermochte sich nicht darauf verlassen.  Darauf brach die Gnädige von Ofen auf und kehrte zur Plintenburg in den Vorderhof [Palas] zurück.  Graf Ulrich von Cilli kam danach zu ihr, wovon die ungarischen Adligen erfuhren, und eilten ebenfalls herbei und bedrängten die Königin wegen des Königs von Polen.  Andere aber rieten ihr [heimlich], sie sollte darauf eingehen, den von Polen zu nehmen und sollte derweilen sich überlegen, was das Beste wäre, man würde ja wohl noch einen Weg finden, daß sie sich ihm entziehen könnte.  So handelte die Gnädige und willigte ein, den von Polen [als Mann] zu nehmen.  Dennoch stellte sie ihnen drei Bedingungen, die gut bekannt sind, unter denen sie den von Polen nehmen wollte.  Sie wußte aber sehr wohl, daß sie keinen der drei Artikel halten würden, weder der von Polen noch die ungarischen Herren, und sie wollte sich dadurch von ihrer Zustimmung lösen, die sie gegeben hatte, den von Polen zu nehmen.  Dies verstanden die Herren nicht und waren froh, daß Ihre Gnaden zugestimmt hatte, den von Polen zu akzeptieren.  Als dies die weise und edle Königin merkte, überlegte sie es sich und strebte danach, die Heilige Krone zu gewinnen und diese aus der Kontrolle der ungarischen Herren in ihre Gewalt zu bringen.  Dies machte sie in der Hoffnung, daß, falls sie einen Sohn gebären würde, dieser nicht vom Reich [aus seinem königlichen Erbe] verdrängt werden würde.  Würde sie aber eine Tochter gebären, würde sie dafür umso bessere Verhandlungsbedingungen von den ungarischen Herren erhalten.  Sie fragte mich, ob ich die Heilige Krone herauszuholen vermöchte.  Dies konnte in dem Moment nicht geschehen.  Aber dies war ein hilfreicher Irrtum, weil der rechte Zeitpunkt noch nicht eingetreten war, zu dem  der allmächtige Gott seine Wunder bewirken wollte, wie ihr bald erfahren werdet. 
 
Die ungarischen Herren hätten es gerne gesehen, wenn die edle Königin auf der Plintenburg im Kindsbett gelegen hätte. Dies gefiel aber Ihren Gnaden nicht, und sie fügte sich ihnen nicht und zog auch nicht in das Königshaus [Oberhof].  Der Grund dafür war ihr heimlicher Plan, denn sie hatte Sorgen, daß, wenn sie in dieses Haus gezogen wäre, hätte man sie dort gewaltsam zusammen mit ihrem Kindes festgehalten.  Der andere Grund war der, daß die [Ungarn] umso weniger daran denken sollten, daß sie nach der Heiligen Krone trachtete.  Dann holte die edle Königin ihre jüngste Tochter, Fräulein Elisabeth, aus dem Haus zu sich in den Hof [Vorburg], dazu mich und ihre zwei Jungfrauen, und ließ die anderen oben [in der Hauptburg] zurück, nämlich eine Herzogin aus Schlesien und andere adlige Jungfrauen.  Es verwunderte alle, warum Ihre Gnaden die Jungfrauen und das andere Hofgesinde, das meiner jungen Herrin zugestellt war, dort oben untergebracht hatte.  Den Grund dafür wußte niemand außer Gott, dann sie selbst und ich.  Und ich hatte die Schlüssel zu ihrem Zimmer, wo ihre [eigene] Krone, ihr Halsband und andere Juwelen aufbewahrt waren.  Nun hoffte Ihre Gnaden insgeheim darauf, das Land selbst zu beherrschen, und sie bat mich, ich sollte zum Königshaus gehen und versuchen, ob ich ihre Krone und andere ihrer Kleinodien heimlich zu ihr in den Vorderhof bringen könnte.  Das tat ich und kam zum Königshaus, und in meinem Gewand [versteckt] brachte ich ganz heimlich die Krone meiner Herrin und auf einem Schlitten all ihre Juewelen.  Als ich in den Hof einfuhr, kamen mir die ungarischen Herren auf Pferden entgegen, und Herr Lasla fragte mich: “Helene Kottannerin, was transportiert Ihr?”  “Ich transportiere meine Kleider.”  Meine gnädige Frau war froh, daß ich ihr die Kleinodien gebracht hatte, und ich mußte selbst die Krone in der Kammer aufbewahren, wo meine junge Herrin und ich wohnten, denn es gab sehr wenige Räume, die man abschließen konnte.  Ich behielt [die Sachen] voll Sorgen unter dem Bett, denn wir hatten dort keine Truhen.  Hätten die Herren das Futteral mit der Krone gesehen, hätten sie gewußt, daß es die Heilige Krone war, und daraus wären große Mühen und Not entstanden; sie hätten gemerkt, daß die Königin Gelüste auf das Land hatte [d.h. darüber herrschen wollte].  Da aber die edle Königin den ungarischen Herren eine Antwort wegen des Königs von Polen gegeben hatte, wie ihr oben gehört habt, und da inzwischen auch die Briefe und die ungarischen Herren, die als Boten nach Polen reiten sollten, bereit waren, nämlich der Bischof von Erlach und Matkó von Weidefembrich und andere Männer, ritten  die ungarischen Herren wieder von der Plintenburg nach Ofen.  Anschließend brach die edle Königin zusammen mit ihrer jungen Tochter Elspet auf und reiste nach Komorn [Komárom].  Der Graf Ulrich von Cilli kam zu Ihren Gnaden als ein treuer Freund und beriet sich mit ihr, wie man einen Weg finden könnte, die Heilige Krone aus der Plintenburg zu schaffen.  Da bat mich meine gnädige Frau, es selbst zu tun, weil niemand so gut wie ich in der Situation Bescheid wüßte, dem sie dazu vertrauen könnte.  Dies fiel mir schwer, denn es war ein großes Wagnis für mich und meine kleinen Kinder, und ich dachte hin und her, was ich da tun sollte, und wußte auch niemanden, den ich um Rat fragen konnte außer Gott allein, und dachte: wenn ich ihr nicht helfen würde und ging dann die Situation übel aus, hätte ich Schuld gegen Gott und die Welt auf mich geladen.  So willigte ich dazu ein, mein Leben für diese Fahrt zu wagen und begehrte einen Helfer.  Man forderte mich dazu auf, den zu bestimmen, der mir tauglich dazu schien.  Ich empfahl einen, von dem ich zu wissen glaubte, daß er meiner Herrin ganz treu ergeben war. Er war ein Kroate. Er wurde zum heimlichen Rat beigezogen, und man erklärte ihm, was man von ihm erwartete.  Dies erschreckte den Mann so sehr, daß er all seine Farbe verlor, als ob er halb tot wäre, und willigte auch nicht ein und ging hinaus in den Stall zu seinen Pferden.  Ich weiß nicht, ob es Gottes Wille war oder ob er sich töricht verhielt, aber man hörte am Hof die Nachricht, daß er gefährlich vom Pferd gefallen sei.  Als er sich ein wenig erholt hatte, stand er auf und ritt nach Kroatien.  Dadurch zögerte sich alles hinaus, und meine Herrin war traurig, daß der Feigling in die Sache eingeweiht worden war.  Ich befand mich auch in großen Sorgen, aber es war doch Gottes Wille.  Denn wenn die Angelegenheit zu der Zeit vonstatten gegangen wäre, wann wäre meine Herrin mit einem großen Bauch und mit der Heiligen Krone nach Preßburg gefahren.   So wäre die edle Frucht, die sie noch trug, an der Krönung gehindert worden, denn sie hätte vielleicht solche Hilfe und Macht, die sie später haben sollte, nicht gefunden.  Als nun die Zeit eintrat, als der allmächtige Gott sein Wunder bewirken wollte, schickte er uns einen Mann, der dazu bereit war, die Heilige Krone zu beschaffen.  Er war ein Ungar und hieß. . .  [?].  Er ging treulich, klug und männlich in der Sache vor und besorgte, was wir für den Plan bedurften, besonders mehrere Schlösser und zwei Feilen.  Der, der mit mir sein Leben wagen wollte, zog einen schwarzen samtenen Schlafrock und zwei Filzschuhe an, und in jeden Schuh steckte er eine Feile, die Schlösser nahm er unter den Rock.  Ich nahm das kleine Siegel meiner Herrin und ich hatte den Schlüssel zur vorderen Tür—es gab drei insgesamt, denn an der Angel war auch eine Kette und ein Türriegel, an den wir auch ein Schloß befestigt hatten, bevor der Plan gefaßt worden war, daß niemand anders ein Schloß daran heften sollte.  Als wir uns nun bereitgemacht hatten, schickte meine gnädige Frau einen Boten voraus zur Plintenburg und gab dem Burggrafen, Herrn Franz von Pöker und Weitvilassla [Ladislaus, Sohn des Wojwoden] Bescheid, die sich um die Jungfrauen kümmerten, daß sie sich darauf vorbereiten sollten, sobald der Wagen käme, nach Komorn zu Ihren Gnaden zu fahren, weil sie beabsichtige, nach Preßburg zu reisen.  Dies hatte man ihrem ganzen Hofstaat verkündet.  Als der Wagen bereit war, den man für die Jungfrauen schicken sollte, dazu den Schlitten, auf dem ich reisen würde und mit dem ich in dieser gefährlichen Sache zu fahren vorhatte, schickte man uns zwei ungarische Herren, die mit mir zu den Jungfrauen fahren sollten.  So fuhren wir los.  Inzwischen erfuhr der Burgherr, daß ich käme, um die Jungfrauen abzuholen.  Da wunderten sich er und die anderen Hofleute meiner Herrin, daß man mich so weit weg von meiner Jungfrau [der Tochter der Königin] fahren ließ, denn sie war noch jung, und [normalerweise] erlaubte man mir nicht gern, mich von ihr zu entfernen.  Davon wußte man überall.              


Nun war der Burggraf etwas krank und hatte vorgehabt, sich bei der Tür zur Ruhe zu legen, wo der erste Eingang zum Raum mit der Heiligen Krone war.  Da wurde seine Krankheit schlimmer, wie es Gott so wollte, und er selbst wagte es nicht, die Knechte dorthin zu legen, weil es im Frauenzimmer war.  Er legte [also] ein Leinentuch auf das Schloß, das wir an die Angel geschlagen hatten, und setzte ein Siegel darauf.  Als wir zur Plintenburg kamen, waren die Jungfrauen froh, daß sie zu meiner gnädigen Frau fahren sollten, und bereiteten sich vor und ließen eine Truhe für ihre Kleider herbeischaffen.  Dies dauerte sehr lang, es läutete schon zur achten Stunde.  Mein Begleiter kam auch zu mir in das Frauenzimmer und unterhielt sich lustig mit den Jungfrauen.  Nun lag etwas Holz vor dem Ofen, das zum Heizen vorgesehen war.  Dort verbarg er die Feilen.  Es hatten aber die Knechte, die den Jungfrauen dienten, diese unter dem Holz gesehen und raunten miteinander.  Dies erhörte ich und teilte es ihm sogleich mit.  Er erschrak so heftig, daß er im Gesicht bleich wurde, und nahm die Feilen wieder raus und verbarg sie woanders.  Dann sagte er zu mir: “Frau, kümmert Euch darum, daß wir Licht haben.”  Und ich bat eine alte Frau, daß sie mir einige Kerzen gäbe, denn ich müßte viel beten, weil es Samstag nacht war [20. Febr. 1440], und der nächste Samstag würde Fasching sein.  Ich nahm die Kerzen und verbarg sie bei der Tür. 
Als nun die Jungfrauen und alle anderen schlafen gegangen waren, blieben nur ich und eine alte Frau, die ich mit mir gebracht hatte und die nicht ein Wort Deutsch verstand und auch nichts von der Sache wußte,  in der kleinen Stube.  Dieser war außerdem die Anlage des Hauses unbekannt.  Sie lag und schlief fest.  Als es nun Zeit war, kam der, der mich in dieser gefährlichen Lage begleitete, durch die Kapelle an die Tür und klopfte an.  Ich öffnete ihm und schloß hinter ihm wieder zu.  Er hatte einen Knecht mitgebracht, der ihm helfen sollte, dessen Taufname der gleiche war wie seiner, der. . .   [?].  Dieser hatte ihm [Treue] geschworen.  Ich gehe zu der Stelle und will ihm die Kerzen bringen, da waren sie verschwunden.  Darüber erschrak ich so sehr, daß ich nicht wußte, was ich tun sollte, und die ganze Sache wäre wohl wegen des Lichts ungetan blieben.  Ich überlegte etwas, ging und weckte die Frau auf, die mir die Kerzen gegeben hatte, und sagte ihr, die Kerzen seien verschwunden, und ich hätte noch viel zu beten.  Da gab sie mir andere, worüber ich froh war, und gab ihm [dem Ungarn] die Kerzen und dazu die Schlösser, die man wieder anschlagen sollte, und gab ihm auch das kleine Siegel meiner Herrin, womit man wieder versiegeln sollte, und gab ihm auch die drei Schlüssel, die zu der vorderen Tür paßten.  Da nahm er das Tuch mit dem Siegel von dem Schloß ab, das der Burggraf darauf gelegt hatte, sperrte auf und ging mit seinem Diener hinein und bemühte sich sehr mit den anderen Schlössern, so daß das Schlagen und Feilen überlaut wurde. 
 
In der Nacht waren die Wächter und der Burggraf ganz wach wegen der Sorge, die sie hatten.  Dennoch hatte ihnen der Herrgott alle ihre Ohren verstopft, so daß keiner von ihnen etwas hörte.  Ich aber hörte alles sehr wohl, und ich hielt derweilen voller Angt und Sorgen Wache, und ich kniete nieder mit großer Andacht und bat Gott und unsere liebe Frau [Maria], daß sie mir und meinen Helfern beistünden.  Dennoch hatte ich große Sorge um meine Seele und mein Leben und bat Gott, daß ich, falls es gegen Gott wäre [was wir machten] und ich dafür verdammt werden sollte, oder falls eine Katastrophe für Land und Leute deswegen entstehen würde, er meiner Seele gnädig sein und mich gleich hier sterben lassen solle.  Wie ich so betete, entstand ein großer Lärm und großes Geräusch, als ob viele [Männer] in Harnisch an der Tür wären, durch die ich den eingelassen hatte, der mein Helfer war.  Und als es mir schien, als ob sie die Tür aufstoßen wollten, erschrak ich heftig, stand auf und wollte die zwei gewarnt haben, daß sie mit der Arbeit aufhören sollten.  Da kam mir in den Sinn, ich sollte an die Tür gehen, und das machte ich auch.  Ich dachte bei mir, es wäre ein Gespenst und kehrte zu meinem Gebet zurück und versprach unserer lieben Frau eine barfüßige Pilgerfahrt nach Mariazell [Steiermark], und wenn ich die Pilgerfahrt nicht durchführte, wollte ich in der Samstag nacht nicht auf Federn liegen und wollte auch jede Samstag nacht, solange ich lebte, zu unserer lieben Frau ein besonderes Gebet sprechen und für ihre Gnade danken, die sie mir gewährt hatte.  Und ich bat sie, daß sie für mich bei ihrem Sohn, unserem lieben Herrn Jesus Christus, Dank sagte für die große Gnade, die er mir in seinem Erbarmen geschenkt hatte.  Und da ich bei meinem Gebet war, schien es mir, als ob ein großer Lärm und großes Geräusch von Harnischen an der Tür wäre, die den rechten Eingang zum Frauenzimmer bildete.  Da erschrak ich so sehr, daß ich vor Angst zu zittern und schwitzen begann und dachte, es wäre nicht ein Gespenst, und während ich an der Kapellentür gestanden hatte, seien die [Männer] herumgegangen, und ich wußte nicht, was ich tun sollte, und lauschte, ob ich vielleicht die Jungfrauen hörte.  Dennoch hörte ich nichts.  Da ging ich langsam die Treppe runter durch die Kammer der Jungfrauen an die Tür, die der rechte Eingang zum Frauenzimmer war.  Als ich an die Tür kam, hörte ich niemanden.  Da war ich froh und dankte Gott, und kehrte zu meinem Gebet zurück und dachte bei mir, daß es der Teufel wäre, der das Unternehmen gerne verhindert hätte.  Als ich mein Gebet beendet hatte, stand ich auf und wollte in das Gewölbe gehen und schauen, was sie dort taten.  Da kam er [der Ungar] mir entgegen und sagte: Ich solle ruhig sein, es sei vollbracht, sie hätten an der Tür die Schlösser abgefeilt, aber an der Krone seien die Schlösser so fest, daß man sie nicht abfeilen könne, man mußte sie aufbrennen, wodurch ein großer Gestank entstanden sei.  Ich sorgte mich, daß man sich wegen des Geruchs erkundigen würde.  Dies verhinderte aber Gott. 


Als nun die heilige Krone ganz frei war, machten wir die Tür wieder überall zu und schlugen andere Schlösser an die Stelle der alten, die sie abgebrochen hatten, und verschlossen die Tür mit dem Siegel meiner Frau, und die äußere Tür versperrten wir und legten das Tuch mit dem Siegelabdruck darauf, wie wir es vorgefunden hatten und wie es der Burggraf daraufgelegt hatte. Ich warf die Feilen in die Toilette, die im Frauenzimmer ist, worin man die Feilen als Beweis finden wird, wenn man sie aufbricht.  Und die Heilige Krone trug man aus der Kapelle hinaus, in der die heilige Elisabeth ruht; dort stiftete ich, Helene Kottannerin, ein Meßband und ein Altartuch, das der Herr meiner gnädigen Frau, König Lasla, bezahlen soll.  Dann nahm mein Helfer ein rotsamtenes Kissen, trennte es auf und nahm einen Teil der Federn heraus, setzte die Heilige Krone hinein und nähte es wieder zu.  Da war es gerade Tag geworden, so daß die Jungfrauen und alle anderen aufstanden und nun abreisen sollten.  Bei den Jungfrauen gab es eine alte Frau, die ihnen diente.  Meine gnädige Herrin hatte veranlaßt, daß man ihr den Lohn auszahlen und sie zurücklassen sollte, so daß sie nach Ofen fahren könne.  Als die Frau bezahlt war, kam sie zu mir und sagte, sie hätte ein seltsames Ding vor dem Herd liegen sehen und wüßte nicht, was es sei.  Darüber erschrak ich sehr und wußte gut, daß es etwas von dem Futteral war, in das die Heilige Krone eingepackt gewesen war, und dachte mir einen Vorwand aus, so gut ich es konnte, ging dann heimlich zum Herd und warf alle Überbleibsel, die ich fand, ins Feuer, worauf sie ganz verbrannten.  Dazu nahm ich die Frau mit auf unsere Fahrt.  Dies verwunderte alle und fragten, warum ich dies täte.  Da sagte ich, es sei meine eigene Entscheidung, ich wollte für sie bei meiner gnädigen Herrin um ein kleines Gut bei Wien in der Nähe von St. Martin bitten, was ich dann auch tat. 


Als nun die Jungfrauen und das Hofgesinde bereit waren, um loszufahren, nahm derjenige, der mich begleitete und in großen Sorgen war, das Kissen, in dem die Heilige Krone vernäht war, und übergab es seinem Diener, der ihm geholfen hatte, damit er das Kissen aus dem Haus in den Schlitten bringe, auf dem er und ich saßen.  Da nahm der gute Kerl das Kissen auf die Schulter, dazu eine alte Kuhhaut, die einen langen Schwanz hatte, die hinter ihm herlief.  Jedermann blickte hinter ihm her und fing an, über ihn zu lachen.  Als wir aus dem Königshaus auf den Markt kamen, hätten wir gerne gegessen, aber es gab nichts anderes als Heringe, von denen wir etwas aßen.  Dann sang man die Messe, weil der Tag schon weit vorangeschritten war, doch sollten wir noch am gleichen Tag von der Plintenburg nach Komorn kommen, was wir auch schafften, obwohl es zwölf Meilen bis dahin sind.  Als wir dann fahren sollten und aufsaßen, achtete ich darauf, wo das besondere Kissen war, in dem sich die Heilige Krone befand, um mich nicht darauf zu setzen.  Ich dankte dem allmächtigen Gott für seine Gnade.  Ich sah mich aber oft um, ob uns niemand folgte; meine Sorge nahm gar kein Ende, und ich war von Gedanken erfüllt und wunderte mich, was Gott getan hatte oder noch vorhatte.  Denn während ich noch auf der Burg gewesen war, hatte ich keine Nacht ganz ruhig geschlafen wegen der Sache, die mir anvertraut worden war, und ich hatte schwere Träume.  Besonders eines Nachts träumte ich, wie eine Frau [mühelos] durch eine Mauer in das Gewölbe eingetreten wäre und die Heilige Krone genommen hätte.  Da erschrak ich sehr und stand gleich auf, und nahm eine Jungfrau namens Dachpeckin mit mir und ging zu dem Gewölbe.  Da fand ich es, wie ich es zurückgelassen hatte.  Die Dachpeckin sagte: “Es ist kein Wunder, daß Ihr nicht gut schlafen könnt, man hat Euch große Sachen anvertraut.”  Damit legten wir uns wieder schlafen.  An diesen Traum dachte ich während der Fahrt. 
Als wir zur Herberge kamen, wo wir essen wollten, nahm der gute Geselle das Kissen, auf das er aufpassen mußte, und trug es hinter mir her in die Stube, wo wir essen wollten, und legte es mir gegenüber, so daß es die ganze Zeit nicht aus meinen Augen kam, während wir aßen.  Nach dem Essen nahm der gute Geselle das Kissen und legte es wie vorher in den Schlitten.  Darauf fuhren wir bis in die finstere Nacht hinein.  Da kamen wir zur Donau, die noch mit Eis bedeckt war, doch an manchen Stellen nur noch sehr dünn.  Als wir auf das Eis kamen und mitten auf der Donau waren, brach der Wagen mit den Jungfrauen ein und fiel um, wobei die Jungfrauen heftig schrien und keine die andere sehen konnte.  Darüber erschrak ich sehr und dachte, wir müßten mitsamt der Heiligen Krone in die Donau versinken.  Aber Gott war unser Helfer, so daß kein Mensch unters Eis kam.  Viele andere Dinge hingegen, die auf dem Wagen gewesen waren, waren unters Eis geraten.  Da nahm ich die Herzogin von Schlesien und die besten Jungfrauen zu mir auf den Schlitten, und so gelangten wir mit Gottes Hilfe über das Eis, und auch alle anderen.  Und als wir in Komorn eingetroffen waren zum Haus [der Königin], nahm der, der mit mir in der gefährlichen Geschichte mitgewirkt hatte, das Kissen mit der Heiligen Krone und trug es dorthin, wo sie gut beschützt war.  Als ich in das Frauenzimmer zu meiner gnädigen Herrin kam, wurde ich von der Königin freundlich empfangen, da sie nun wußte, daß ich mit Gottes Hilfe eine gute Botin gewesen war.  Aber die Wunder und die sichtbare Hilfe von Gott, die sich da kenntlich gemacht hatte, blieb Ihren Gnaden unbekannt, und so ist sie auch gestorben, ohne daß sie je davon erfahren hatte [19. Dez. 1442].  


Es ergab sich niemals eine Gelegenheit, daß ich so lange allein bei ihr gewesen wäre, daß ich ihr alles vom Anfang bis zum Ende hätte erzählen können.  Wir waren nämlich nicht lange beieinander, und ich konnte es auch nicht einrichten, den zu befragen, der mit mir die sorgenvolle Zeit durchstanden hatte, ob er das gleiche Zeichen wahrgenommen hatte, während er sich im Gewölbe aufhielt, denn er verstand nicht viel Deutsch; zudem wollte ich niemandem trauen, der mir gedolmetscht hätte.   Als mich die edle Königin empfing, lag sie im Bett, wollte sich ausruhen und sagte zu mir, wie es ihr tagsüber ergangen sei.  Es waren zwei ehrbare Frauen von Ofen, zwei Witwen, zu ihr gekommen.  Die eine hieß die Siebenlinderinn, die andere Zauzachin, und sie hatten zwei Ammen mitgebracht, die eine war eine Hebamme, die andere war diejenige Amme, die das Kind an der Brust stillen sollte.  Diese Amme hatte auch ihr Kind mitgebracht, das auch ein Sohn war, denn die Gelehrten glauben, daß die Milch von einer Frau besser ist, die einen Sohn gebärt anstatt einer Tochter.  Und diese Frauen sollten mit Ihren Gnaden nach Preßburg ziehen und sie dort im Kindsbett [vor der Geburt] pflegen, denn nach ihrer Rechnung sollte Ihre Gnaden noch eine Woche bis zur Geburt haben. 


Ob nun die Rechnung nicht stimmte oder ob es sonst Gottes Willen war, [bleibt unklar], aber wenn Ihre Gnaden nicht in derselben Nacht entbunden hätte, wäre sie am Morgen zu ihrer Fahrt aufgebrochen, denn die Wagen waren alle beladen und das ganze Hofgesinde war bereit.  Als ich mit der edlen Königin sprach, erzählte sie mir, daß die Frauen aus Ofen sie in eine Wanne gesetzt hatten, und wie sie sich nach dem Bad ganz schwer gefühlt hätte.  Da hob ich die Decke auf und wollte sie mir bloß ansehen.  Sogleich bemerkte ich einige Anzeichen, an denen ich verstand, daß die Geburt unmittelbar bevorstand.  Die Frauen von Ofen waren jedoch in einem Dorf; aber wir hatten trotzdem eine Amme bei uns namens Margret, die Graf Hans von Schaunberg meiner gnädigen Herrin geschickt hatte, die sehr geschickt sein sollte, was sich auch bewahrheitete.  Da sagte ich: “Gnädige Frau, steht auf, es scheint mir, daß Ihr morgen nicht nach Preßburg fahrt.”  Da stand Ihre Gnaden auf, ging und verspürte sofort die Wehen.  Ich schickte nach der ungarischen Hofmeisterin namens Margit, die sogleich kam.  Da war auch eine Jungfrau namens Fronacherinn, und beide ließ ich bei meiner gnädigen Frau und ging zu der Hebamme, die der [Herr] von Schaunberg zu uns geschickt hatte.   Sie lag im Frauenzimmer meiner Jungfrauen.  Ich sagte: “Margret, steht sogleich auf, meine gnädige Frau befindet sich in der Entbindung.”  Die Frau antwortete mir aus schwerem Schlaf und sagte: “Heiliges Kreuz, wenn uns heute ein Kind geboren wird, werden wir morgen wohl nicht nach Preßburg fahren wollen.”  Und sie wollte nicht aufstehen.  Der Streit schien mir zu lang zu dauern, und so eilte ich wieder zu meiner gnädigen Frau, damit ihr [die Entbindung] nicht mißlinge.  Denn die zwei [Frauen], die bei ihr waren, verstanden sich nicht in solchen Dingen.  Da sagte meine gnädige Frau: “Wo ist Margret?” Ich berichtete Ihrer Gnaden von der törichten Antwort der Frau.  Da bemerkte Ihre Gnaden: “Geht gleich wieder hin und befehlt ihr zu kommen, wir machen keinen Spaß.”  Ich kehrte sofort zurück und rüttelte voll Zorn die Frau wach.  Als sie zu meiner gnädigen Frau kam, dauerte es keine halbe Stunde, bis uns der allmächtige Gott einen jungen König schenkte. 
In der selben Stunde, in der die Heilige Krone von der Plintenburg nach Komorn gelangte, wurde König Lasla [Ladislaus Postumus] geboren.  Die Hebamme war klug und sprach: “Gnädige Frau, wenn Ihr  mir gewährt, um was ich Euch bitte, so will ich Euch sagen, was ich in meiner Hand habe?”  Da antwortete die Königin: “Ja, liebe Mutter.”  Da antwortete die Amme: “Gnädige Frau, ich halte einen jungen König in meinen Händen.”  Darüber freute sich die Königin, hob ihre Hände zu Gott und dankte für seine Gnade.  Als nun die Wöchnerin [die junge Mutter] in ein Bett gelegt wurde und niemand mehr bei ihr war außer ich allein, da kniete ich vor ihr nieder und sprach zur edlen Königin: “Gnädige Frau, Ihre Gnaden müssen Gott danken, so lange Sie leben wegen der großen Gnade und wegen des Wunders, das der allmächtige Gott bewirkt hat, nämlich daß der König und die Heilige Krone in einer Stunde zusammen hier eingetroffen sind.  Da sagte die edle Königin: “Es ist freilich ein großes Wunder vom allmächtigen Gott, denn vorher wäre es nicht möglich gewesen.” 


Als die Frauen von Ofen erfuhren, daß meine gnädige Herrin ein Kind geboren hatte, freuten sie sich, wie es nur richtig war.  Aber es verärgerte sie doch, daß sie nicht dabei gewesen waren, wofür mir sehr stark die Schuld zugewiesen wurde, obwohl es doch nicht meine Schuld war, weil die Zeit zu knapp gewesen war.   Der König wollte nicht länger warten [im Mutterleib], er wollte sich beeilen und zur Heiligen Krone gelangen, ehe ein anderer käme.  Wer hatte ihm das nur gesagt, daß der [König] von Polen nach seinem väterlichen Erbe strebte?  Hätte er nur eine Woche länger im Leib seiner Mutter geschlafen, wäre er [der polnische König] nach Preßburg gekommen, und dann hätte es keine Macht der Welt zuwege bringen können, daß die Polen unter dem Druck wieder abgezogen wären.  Dann wäre der von Polen vielleicht eher nach Stuhlweißenburg [der ungarischen Krönungsstadt] gekommen als Seine Gnaden [Ladislaus Postumus].  Und so sehr es wahr ist, daß die Heilige Krone nach Ungarn dem Heiligen Stephan von Gott gesandt wurde und für ihn bestimmt war, so wahr ist es auch, daß es Gott offensichtlich gewollt hat, daß der rechte Erbkönig Ladislaus die Heilige Krone zu Ungarn tragen sollte, und nicht der König von Polen.
 
 
 
 
Der weitere Bericht, der sich noch auf über fünfzehn Seiten erstreckt, bezieht sich auf die nachfolgenden politischen Ereignisse und bestätigt weiterhin, welches beachtliche literarische Vermögen Helene Kottannerin besaß. 
 
 
FRAGEN ZUM TEXT:
 
— Wie ist die Beziehung zwischen Helene Kottannerin und der Königin gestaltet?
 
— Was sagt Helene über ihr persönliches Leben aus?
 
— Wie erklärt sie die Abfassung dieser Memoiren?
 
— Welches politische Gewicht besaß Helene?
 



— Aus welcher Sicht schildert die Autorin die Ereignisse?
 
— Inwieweit macht sich die Tatsache bemerkbar, daß eine Frau diesen Bericht ablegt?
 
— Handelt es sich nur um eine Chronik, oder lassen sich auch literarische Aspekte beobachten?
 
— Was macht den Bericht Helenes so spannend?
 
— Um was für einen politischen Konflikt handelt es sich hier?

Bibliographic Information
Editor
Dr. Albrecht Classen