This text comes from a collection of German-speaking women's literature entitled "Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart: Gedichte und Lebensläufe. Herausgegeben und eingeleitet von Gisela Brinker-Gabler." This text was graciously donated to the Sophie library by Gisela Brinker-Gabler.
The Foreword and Introduction may be read HERE.
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Hertje von Horsbüll lachte und klomm vom Deich an den Strand,
Hertje von Horsbüll reckte den Arm über See und Sand,
ihres Haares graue Strähnen zerrte der nasse West,
ihre nackten Füße wurden von fliegendem Schaum genäßt.
"Es geht um des Strandes Harden ein starker güldener Ring,
ihr kooget und ihr deichet, wo weiland der Schiffskiel ging,
aber wehe über die Marschen, weh über Sand und Strand,
es weint da unter dem Deiche, der Ring hat nicht Bestand!
Sie sagen, die Deiche feste unschuldigen Blutes Macht, –
mein Knabe spielte im Kooge, er kam nicht heim zur Nacht!
Sie sagen, es sind die Möwen, die Möwen schreien im Wind, –
aber ich weiß, da unten weint Hertje von Horsbülls Kind!
Es steht im Kooge zu Gröde der Weizen sommergrün,
es springt ein schwarzes Fohlen über die Weiden hin,
aber die Saaten sollen keine Sichel sehn,
und es wird das schwarze Fohlen nicht unter dem Sattel gehn!
Sie segnen in dreißig Kirchen den heiligen Gotteswein,
zu Lindholm stand die erste, die soll auch die letzte sein,
es wird ein Tag des Todes über den Marschen graun,
dreimal wehe den Augen, die seine Schrecken schaun.
Dann wird den Vater rufen seines jüngsten Kindes Schrei,
doch die salze See wird kommen und fressen die andern drei!
Es werden Knecht und Bauer fliehn auf des Hofes First,
doch die salze See wird kommen, daß Wurt und Mauer birst!
Es wird eine Sonne steigen, ihr Schein ist gelb und bleich,
und geht sie wieder zur Rüste, sie sieht nicht Strand noch Deich,
es wird in hundert Jahren der Schiffer fahren zu Land
und wird zum Steuermann sagen: "Hüt dich vor Holmer Sand!"
Hertje von Horsbüll lachte und klomm zum Deich empor,
sie kniete auf nasser Erde, sie beugte ihr horchend Ohr,
Hertje von Horsbüll ballte zur Faust die starre Hand:
"Es weint da unter dem Deiche! weh über Marsch und Strand!"