This text comes from a collection of German-speaking women's literature entitled "Deutsche Dichterinnen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart: Gedichte und Lebensläufe. Herausgegeben und eingeleitet von Gisela Brinker-Gabler." This text was graciously donated to the Sophie library by Gisela Brinker-Gabler.
The Foreword and Introduction may be read HERE.
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Oben am Berge sangen alle Buchen heut.
Grüne Zeit! sang die eine: grüne, grüne Zeit!
Schwestern! rauschte die zweite und wiegt den Wipfel hoch:
Wißt ihr die weißen Nächte, die Nächte des Todes noch?
Wir streckten die nackten Äste in Frost und bebten sehr,
Die Sonne war längst gestorben, und lebte kein Quellchen mehr!
Wir wissen, sangen die andern, doch die weißen Nächte sind weit –
Grüne Zeit, Schwester Buche, grüne, grüne Zeit!
Und wißt ihr die schwarzen Vögel, die knarrten böse und rauh
Über den bleichen Feldern ins frühe Abendgrau?
Ihre schreienden Schwärme machten dunkler den dunkelsten Tag,
Es krachte in unsern Ästen ihr streitender Flügelschlag! –
Wir kennen die schwarzen Vögel, aber sie flogen weit.
Grüne Zeit, Schwester Buche, grüne, grüne Zeit!
Sonne, hohe Sonne! eine Schlanke sang in den Wind,
Deiner grünen rauschenden Kinder, siehe, wie viele es sind!
Wipfel wiegt sich an Wipfel hinauf die wogende Wand,
Unser sind alle Berge, die blauen über dem Land!
hell über unsern Kronen jauchzt der wilde Weih,
Hoch schwimmen die weißen Wolken zu Häupten uns vorbei,
Höher als Weih und Wolke, Flammende, schreitest du
Aus roten Toren der Frühe rotem Abend zu!
Wir brennen in grünen Feuern entgegen deinem Brand,
Wir winken mit tausend Blättern dir nach ins Abendland,
Wir neigen singende Kronen deinem Angesicht:
Gelobt sei die hohe Sonne! Gelobt das heilige Licht!
Tausend Buchen am Berge hielten den Atem an –
Auf silbernem Stamm die höchste wie träumend halb begann –
Auf einmal sangen sie alle, und rauschten wälderweit:
Gelobt sei die hohe Sonne! Grüne, grüne Zeit!