Die Geschichte von der Geburt und dem lobeswürdigen Lebenswandels der unbefleckten Mutter Gottes, wie ich sie unter dem Namen des hl. Jakobus, Bruder des Herrn, aufgezeichnet fand (Essay, Story)

This text was digitized and graciously donated to Sophie by Dr. Albrecht Classen, University of Arizona. This particular work has been extracted from Classen's Frauen in der deutschen Literaturtgeschichte; the full text is available on this site.

Einzige Hoffnung der Welt, hochgelobte Herrscherin des Himmels,
du heilige Mutter des Königs, leuchtender Stern des Meeres,
die du als Gebärende das Leben der Welt erneuert hast,
das einst die erste Jungfrau zerstört hatte![i]
Steh deiner Dienerin Hrotsvitha gnädig zur Seite,                              5
ich diene dir in Demut und mit weiblichem Eifer,
indem ich dir zu Ehren ein Lied in daktylischem Versmaß singe.
Wenn es mir nur gelänge, ein ganz klein wenig beizutragen
deinen Ruhm, o Jungfrau, zu verkünden,
deine herrliche Abkunft aus vornehmem Stamm                             10
und zugleich deinen Sohn, unseren König, angemessen zu loben.
Doch ich weiß, daß die schwachen Kräfte nicht ausreichen,
dich, wie es dir zusteht, zu rühmen,
dich, die der ganze Erdkreis nicht würdig vermag zu besingen,
da du heller strahlst als Engel es verkünden können,                       15
da du einstmals denjenigen im jungfräulichen Leibe
getragen hast, der als Herrscher das Weltall regiert.

FRAGEN ZUM TEXT:
 
Welche Bedeutung besaß die Jungfrau Maria für das Frauenstift?
 
Warum verfaßte Hrotsvitha ein Loblied auf die Mutter Gottes?
 

Wie ist in theologischer Hinsicht die Beziehung zwischen Eva und Maria gestaltet?
 
Wie beurteilt Hrotsvitha ihre eigene Begabung als Dichterin?
 
Welcher Rang wird Maria in der Theologie Hrotsvithas zugewiesen?



 
[i]  Gemeint ist hier Eva, deren Übertretung von Gottes Gebot die Menschheit auf den Pfad der Sünde geführt haben soll.  Erst Maria befreite dann durch ihre göttliche Begnadigung die Welt vor der Verderbnis; vgl. dazu Ernst Guldan, Eva und Maria. Eine Antithese als Bildmotiv (Graz–Köln: Böhlaus Nachf., 1966).
Bibliographic Information
Editor
Dr. Albrecht Classen