Newyork im Hochsommer (Essay)

"Laßt alle Hoffnung draußen, die Ihr hier eintretet."

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     Wenn einer jener erbgesessenen und in ihre Stadt wie in ihre Lebensweise verliebten Newyorker, die für jeden andern Fleck der Erde nichts als ein [ endes] Lächeln haben, diese Zeilen lesen sollte, wird er mit mir für ewig und unwiderruflich fertig sein. Antworten wird er mir nicht und sich in keine Debatte einlassen, denn er weiß ganz genau, daß weder er noch einer seines Geistes eine blasse Ahnung davon hat, wie Newyork im Sommer aussieht; denn sie waren alle noch nie im Sommer dort. Sie werden nur schweigend und verachtend grollen, und kein Panegyrikon auf Newyorks unbestreitbare Herbst- und Winterzauber wird sie versöhnen können. Sei’s drum! Einmal muß die Wahrheit an die Sonne und mit einem einzigen Saß streife ich wie mit einer temperamentwollen Handbewegung alle die feingesponnenen Mären von dem Tisch, auf den sie liebreich gestellt sind, und vor und unter die Räder der ratternden, donnernden, staubaufwirbenden, Kinderdurcheinanderscheuchenden Trucks, wie sie auf der zehnten Avenue auf dem in der Sonne backenden Pflaster wirbeln: Newyork im Sommer ist ein Ort, den der Amerikaner in einem Anfall flagellantischer Stimmung erfunden hat, um sich für seine Sünden zu Straßen; Newyork im Sommer ist ein dampfender, zischender, brodelnder Höllenfudelkessel, in dem die gesunden Wald- und Wiesenurinstinkte der Menschheit sich auf so und so viele Köpfe stellen.
     Wie soll ich allen denen, die heute im Café Kaiserpark’ (oder wie es jezt heißen mag) in Karlsbad gefrühstückt, beim Zauner in [Ischl] Baisers gegessen, die grünblaue Majestät des Attersees mit dem Kiel einer Jacht durchschnitten; unter Hochwaldtannen Schwammerln gesucht haben; oder nach des Tages Mühen beim Heurigen im Grinzinger Garterl sißen, oder auch - welch ausschweisende Phantasie! - der erfrischenden Musik des Salzburger Schnürlregens lauschen, wie soll ich all diesen Bürgern einer glücklicheren Welt eine Definition newyorks im August geben, die mit ihrer lapidaren Wucht geruhsamen osterreichischen Gemütern die Tatsache halbwegs [be ] macht? Es hat 95 Grad Jahrenheit, daß jedoch erschöpft die Situation nicht, denn die 95 Grad allein wären nicht so arg. Aber über der Stadt liegt eine Dunstkappe von Feuchtigkeit wie eine brütende Henne; die senkt sich wie Gift in die Glieder. Die Straßen sind Kanäle aus gluchendem Metall, das Pflaster taucht einen heiß an; der Teer zerrinnt unter den Sohlen. Man tritt wie in schmelzenden Schlamm, der Sonnenglast um uns herum bricht wie eine Aetherlava aus einem immer blauen Himmel - es ist merkwürdig, wie wenig Schatten Newyork hat, troß seiner Wolkenkraßer - und ist erfüllt mit Staub, Gewirr, Geschrei, Getute, mit Benzingestank und dem noch heißeren Atem der unzähligen Maschinen, die in unzähligen Autos die Straßen auf und ab [farchen]. In den armen Bezirken, wo die Leute eng aneinander wohnen, wimmelt das Pilaster von halb angezogenen, schlecht aussehenden, aber sonnenbranten Kindern, Wildfängen, die verwahrlost und schreiend einem mit schnarrenden Rollschuhen zwischen die Füße laufen, um die Abfällekannen herumtollen, die bis um 12 Uhr mittags hier übelriechend vor den Häusern stehen. Dann werden die Wasserhydranten aufgedreht, so daß im nächsten Augenblick die Gasse hinunter ein wilder Bach rauscht, der allen Schmuß mit sich reißt, und in den sich die armen Großstadtpflanzen kreischend vor Jubel werfen, dort, wo er sich am Gehweg zu einem kleinen See staut. Schöner sind die Duschen, welche die City of Newyork für diese Bezirke mitten auf der Straße aufstellen läßt - reines Wasser strömt von oben und jeder kann sich darunterstellen.
     Diese unerbittliche Sonne über uns! Sie ist die Sonne Neapels, und jeder weiß, was der Neapolitaner tut: Dolce far niente, und unter einer Bank im Freien schlafen. Aber der Newyorker? Er denkt nicht daran, das Prestissimo seines täglichen Lebens in der Blut der Hundstage auf ein schäbiges Allegro herabzudämpfen, das Tempo bleibt, ab 20 Grad unter oder 95 ober Null. Die bedaurnswerte Männlichkeit hat fast insgesamt ihre Röcke an, auf der Straße nämlich, denn Traditionen sind schwer zu brechen in Amerika - der Schweiß läuft ihnen übers Gesich und die Haare kleben ihnen an den Schläfen - während die Herrinen der Schöpfung in der Pikanterie der leichten Bekleidung ein übriges tun dürfen. Einer von allen reibt sich die Hände hinter seiner weißen, porzellanenen Budel: das ist der von Ice-Cream, der Ausschenker von “Soft Drinks”, als da sind: Limonade, Orangeade, Malzmilch, Eisschokolade, Eistee, Eiskaffee. Fast jedes Haus in Manhattan hat ein Drugstore, wo solche Dinge verkauft werden, und fast jedes Bureaugebäude. Das bereiste Glas mit den schwimmenden Eisstückchen - es ist das einzige, das Newyork zu vergeben hat im August; Newyork ohne Eiswaffer, ohne Ice-Cream, das gäbe es gar nicht, der Newyorker würde es nicht überleben. Rennend tritt er in den Laden, wirst seinen Wunsch hin und sein Zehncentstück, stürzt das Wasser hinunter und rennt wieder hinaus; rennt an einen andern draußen an. Was ist dabei? Natürlich fühlt er die Hiße, aber sie dringt ihm nicht ins Mark. “Tis going to be a hot one to-day!” Er lacht. “Great town!” Große Stadt! Es fällt ihm nicht ein, ungeduldig, mißmutig oder verärgert zu sein. Der Newyorker ist der geduldigste Großstädter des Globus, der Wiener ist ein blutiger Revolutionär gegen ihn. Die Newyorker Elektrische - aber ich will nicht vom Hundertsten ins Tausendste kommen, es ist dazu wirklich zu heiß.
     In den sogenanten “Rush-hours”, zwischen eins und zwei und zwischen fünf und sechs, erreichen die Newyorker [Tätigkeitsexzesse] ihren Höhepunkt: Menschen und Automobile in Knäueln; merkwürdigerweise geschicht trotzdem nichts, denn diese Menschen haben alle ihre Sinne wunderbar beisammen. Aus einer vergitterten großen Oeffnung in der Erde donnert es unterirdisch herauf wie Revolution im Erdinnern - das ist die Untergrundbahn. Weh’den armen Seelen, die sich nun da unten drängen; so weit geht meine Wißbegierde nach Lokalkolorit nicht, daß ich in diesen Orkus steige. Ein Wort zu meinem Begleiter? Unmöglich! Oder uns rattert, während all die drei Stock haben Tra des Hochbanes [fröhlichenisch] mitbrüllen, die Hochbahn Elevated Train, sonnenblumengelb bemalt, flißen Waggons aber unseren Häuptern dahin. Die an der M_ndung der querenden Stra_e harrenden Wagenreihen beginnen pl_zlich, ausgestachelt von einem ungeduldigen oder blo_ l_rmfrohen Chauffeur, zu tuten, immer lauter, im Takt und mit der Begeisterung eines Sarophonbl_sers aus einer Bauernhochzeit....
     Ja, sagt man mir, das ist der Tag, aber der Abend.... Da f_hrt, man wohl auf den Kahlenberg, oder liest Adalbert Stifter aus der H_he der Cloriette, oder spielt Tennis im Prater. Nichts dergleichen gibt's in Newyork. Es ist Zeit zum Dinner, und da man den ganzen Tag wegen der Hi_e nichts gegessen hat, denkt man, da_ man sich etwas schuldig sei. Au_erdem hat man zwei Berliner hier, denen man Newyork begreislich machen soll. Ausgerechnet Berliner im Newyorker August! Eine tragische Situation, und man kapituliert im vorhinein; erlebt aber doch das Beben einer leisen Hoffnung, da man in jenes Restaurant tritt, in dem man einst einen echten [Milchrahmstrudel] und echte [P???idkn_dl] gegessen hat. Grabesstille empf_ngt einen und ein unbekanntes Kellnergesicht. Das Gem_se ist mindestens dreimal ausgew_rmt und das Fleisch verbraten. Auf eine enrp_rte Anfrage ein mildes L_cheln: Der Chef? Der fischt Forellen in der [Trarn]: er hat ein Landgut bei Lambach, er kommt mit dem "Majestic" Anfang September. Die Berliner l_cheln nicht und grinsen nicht, sie reden: das ist _rger: sie erz_hlen von Berlin, und da man doch schlie_lich Fremden gegen_ber sich als ein Zehntel Newyorker f_hlt und die Stadt nicht als einen pappenstiel behandelt sehen will, wird man ganz klein und traurig: denn Newyork ist schon weggefegt vom Erdboden und Berlin steht da: eine Herrlichkeit. K_chenchefs haben dort offenbar keine T_ter an der Traun. Aben im Freien? Gibt's nicht, au_er man will den sonst sch_nen Strand von Coney Island mit ein oder zwei Hunderttausend von verschwi_et en Menschen teilen.
     Es gibt nur zwei Restaurants, wo man im Freien si_en kann. das ist Claremonts am Hudson, wo man nur hingehen kann, wenn man sicher ist, da_ ein Million_r bei der Hand ist, der die rechnung zahlt, und das Kasino im Zentralpark. Es ist nicht billiger, aber daf_r hat man dort, zu gr__erem Erg__en der G_ste, ein sch_nes, niedriges Dach _ber die Tische gespannt, damit sie den Himmel dar_ber und die Sterne und die Kronen der alten Parkb_ume nicht sehen sollen, die im Dunkel der Racht noch so frisch und sch_n ausschauen, als w_r's im Fr_hsommer, w_hrend am Tage ihr Gr_n schon grau und m_de ist; und das Dach hat man beh_ngt mit kurios entworfenen Lampen, die mit etwas abged_mpstem Lichte eine interessante Sheikatmosph_re hervorzaubern, die ein dreigliedriges Damenorchester mit Jazz garniert. Wir hatten nicht geahnt, da_ wir Jazz hier haben werden, die Lampen und das Dach h_tten wir, gute Wiene zum b_sen Spiele machend, noch in Kauf genommen, aber Jazz! Wollten wir doch eine Skipartie besprechen, die zu Weinachten ins Steirische unternommen werden sollte. Der Gedanke an Schnee und Ski m__te wunderbar k_hl machen, hatten wir gedacht. Aber nun zerri_ der jazz alle Pl_ne. Die anderen Leute freilich waren anderer Meinung, die tanzten! Tanzten, trozdem die Nacht keine K_hlung gebracht hat. Kein, Spa_ beiseite, man kommt sich in dieser H_llenmaschine, die eine arbeitende, prustende, stinkende, stampfende F_nfmillionenstadt unter der dr_ckenden Glasglocke einer fast tropisch feuchten Temperatur ist, oft genug wie ein Werdammter vor. [ ???????? ] Errungenschaft des glorreichen zwanzigsten Jahrhunderts konnte der gro_e Dichter das dreizehnten Jahrhunderts nicht vorausahnen, aber was er _ber das Tor seiner H_lle schrieb, f_hlen wir in manchen schleppenden Stunden: Lasciate ogni speranza! Eine Stadt mit f_nf Millionen Einwohnern sollte nicht menschenerlaubt sein. Ein Gang durch jene Horde schreiender und im Schmu_ badender Kinder sollte davon _berzeugen

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