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Dem uralten Glauben an ein unabwendbares Schicksal das, vom Ratschluß geheimnisvoller Mächte verhängt, den Lebenslauf jedes Erdenkindes vorherbestimmt, liegt ein gut Teil Erfahrung zugrunde. In seiner poetisch-naiven Weise berichtet schon der tiefe Lebenskenner Homer:
Denn der Gesätze zwei gestellt an die Schwelle Kronions, Feines gefüllt mit Gaben des Leibs, das andere mit Segen... Wem nun der Donnerer Zeus die Leiden ungemischt zuteilt, Der wird elend und irrt- ein Hungernder- auf dieser Erde, Weber von Himmlischen droben geehrt, noch unter den Menschen.
Sonntagskinder, denen fast alles gelingt, Hänse im Glücke, die es verstehen, allem eine gute Seite abzugewinnen, und als ihren Gegensatz, traurige Schlemihle hat es immer gegeben. Das sind schwerblütige Charaktere, denen das gewandte , kecke Zugreifen versagt bleibt, Pechvögel, die hienieden wie verfolgt erscheinen. Eine eigene Art bilden Raturen, die just nicht an dem Platze stehen, wo doe oft reichen Fähigkeiten ihres Wesens sich entfalten könnten, zuweilen mit dämonischer Tücke dorthin verpflanzt werden, wo sie jammervoll zugrunde gehen müssen. Solch eine zum Unheil ihren natürlichen Lebensbedingungen entrückte Individualität war die bestrickende Lieblingstochter Maria Theresias, die rettungslos in todbringende Politik verstrickte "reinemartyre", die qualverzehrte Mutter des in langer Einzelhaft beinahe verfaulten Unglückskindes Louis XVI. Als Herrscherin in einem ruhigen deutschen Fürstentum, an der Seite eines geliebten Gemahls, hätte Maria Antoinette.
,deren Mutterempfinden von seltener Tiefe war, wahrscheinlich glücklich und verehrt von ihren Landeskindern, gelebt. Sie wäre dann wohl kaum unsterblich geworden, hätte nur ihre Umgebung bezaubert und erfreut und schöne Kinder geboren. Dazu war sie geschaffen, wie Kaiser Josefs Scharfblick früh erkannte. Das Schicksal stellte sie zu hoch und vor allzu schwere Aufgaben. Ihr Mut wuchs bis zum Heldentum; aber ihre Einsicht blieb trotz freierer Anwandlungen im Wahn des Gottesgnadentums befangen, das ihr und ihrem Sohn zum Fluch geworden ist. Ihr sentimentales Liebesbedürfnis, das ihrem Leben sein Gepräge gab - " cette Gretchen" nannte sie deshalb in wohlwollendem Scherz einer ihrer französischen Biographen- fand bei schwärmerischen Freundschaften, oberflächlichen Roketterien und standhaftem Ausharren neben dem reizlosen Gatten kaum jemals volle Befriedigung. Ihre späten Mutterfreuden wurden durch den bittersten Mutterschmerz überreichlich aufgewogen, und ihre einzige tiefe Neigung zu einem wahlverwandten schöner Manne, von der man vieles ahnt, mehr noch vermutete, weniges sicher weiß, ist in Tränen getaucht, von Entsagung durchwoben, von schwersten Gefahren umlauert- eine traurige Liebe: Tiefes Wasser scheidet in Heines Schwermütigem Lieb
die Liebenden. Was Marie Antoinette vom Erwecker ihres Herzens trennte, war schließlich ein Meer von Blut.
Als sie einander zum erstenmal sahen, zählten beide achtzehn Jahre. Sie, die schlanke Dauphine mit dem oft geschildetten, etwas zu langen Oval des schmalen Gesichtes, blendendem Teint, makanter Nase, dunkelblondem Haar, graublaue Augen und der vollen Habsburgerlippen, war nicht schön zu nennen, aber begabt mit seltenem Reiz, Anmut der Haltung und des stolzwiegenden Ganges. " Sie schwebte wie eine Gottheit!" kündeten ihre Bewunderer, " elle marche comme une bacchante", zischelten höfische Neiderinnen. Er, Hans Axel Graf von Fersen der wohlgebildeten einer unter Schwedens lichten Baldursöhnen, ein junger Wikinger in der kleidsamen Uniform der königlichen Garde. Eine Miniatur von Meisterhand, wiederholt reproduziert, hat seine regelmäßigen Züge der Nachwelt bewahrt. Das Gewinndeste in dem seinem Gesicht unter dem leicht gepuderten Haar sind die großen, klaren Augen, überwölbt von sehr dichten Brauen, Augen, die nicht geistvoll blitzen, sondern mit träumerischer Melancholie ins Leben schauen. Dieser sinnende Blick scheint zu beständigen, was ein Zeitgenosse in seinen "Erinnerungen" behauptete: " Erscheinung und Wesen des Grafen Fersen entsprachen vollkommen dem Helden einen Romanes, aber nicht dem eines französischen Romanes; dazu fehlen ihm der Glanz und sie Leichtfertigkeit.
Die erste Begegnung im Schloß von Versailles ist im Tagebuch des jungen Mannes mit ein paar dürren Zeilen erwähnt: " 10 Jänner. ( Man schrieb das Jahr 1774.) Ich ging um 3 Uhr zum Ball der Frau Dauphine. Dieser Ball begann wie gewöhnlich um 5 Uhr und war um 10 Uhr zu Ende. Ich kehrte gleich nach Paris zurück." Der Bericht über das zweite Zusammentreffen regt ergiebigere Deutung an: 30. Jänner... Nach dem Souper, um 10 Uhr , verließ ich die Gesellschaft, um auf den Operball zu gehen. Es war sehr voll. Die Frau Dauphine, der Herr Dauphine und der Graf von Provence kamen und blieben eine halbe Stunde ohne daß ihre Anwesenheit bemerkt wurde. Die Frau Dauphine sprach lange mit mir, ohne daß ich sie erkannte, endlich, als sie sich zu erkennen gaben, bemühte sich alles um sie, und sie zogen sich in eine Loge zurück. Um 3 Uhr verließ ich den Ball. Dieses " lange" Gespräch unter dem Schutz der Maskenfreiheit, im schillerndem Getriebe des Opernballes, haftete fest im Gedächtnis der jungen, innerlich einsamen Frau. Als viereinhalb Jahre später der schwedische Gesandte Graf Creuz seinen ritterlichen Landsmann der Königin und Ludwig XVI. aufs neue vorführte, huscht ein Lächeln der Freude über die beweglichen Züge Marie-Antoinettens, und sie ruft impulsiv wie eine echte Oesterreicherin: " Ah, das ist ja eine alte Bekanntschaft !" Bald zählt " le beau Fersen" zum intimen Kreise von Trianon. Der Roman seines Lebens hat begonnen.
Auch er scheint in der Zeit der Trennung die schnächtige Dauphine mit der stolzen Haltung und dem warmen Plauderton nicht vergessen zu haben. Jedenfalls widerstand er innerlich- bei scheinbarer Gefügigkeit gegenüber dem Willen des Feldmarschals v. Fersen, seines Vaters- jedem Heiratsplan. Glückselig meldete er seiner Lieblingsschwester Sophie , daß es ihm gelungen ist, von der reichen jungern Engländerin, die Graf Fersen Senior ihm zugedacht , einen Korb zu bekommen. Kurz vor seiner zweiten Ankunft in Paris schrieb er aus London seiner Schwester und Freundin über seine präsumtive Braut, die ihn abgewiesen hat: " Das Mädchen ist reizend, sehr liebenswürdig und sanft. Ich weiß, was ich verliere, aber ich kann nicht anders; als mir gtatulieren." Die Romantik war ein Familienzug beter. v. Fersen. Sophie, die jüngere Schwester Hans Axels, hatte ein dem seinen ähnliches Herzenserlebnis. Sie erwiderte die Neigung, die Prinz Friedrich, der jüngste Bruder ihres Herrschers, für sie empfand. Aber Gustaf III. fand das edle Blut der Fersen doch nicht vornehm genug für die Schwägerin eines Zeptersträgers und verbot die Mesalliance. Sophie wollte den Geliebten einen opfervollen Kampf mit dem gekrönten Familienoberhaupt ersparen und zog als Gattin des Kammerherrn Grafen Piper auf dessen stilles, malerisch gelegenes Schloß am Mälarsee. Dort erreichten sie die Briefe ihres Bruders, dessen Liebessehnsucht gleich der ihren unerfüllt bleiben mußte, dorthin richtet er die einzigen offenen Bekenntnisse, die sich dieser verschlossenen Seele je entrangen. In der Bibliothek des Schlosses Löfstad, das nach dem Tode des alten Feldmarschals in den Besitz der Gräfin Sophie überging, sind unter kostbaren Manuskripten zum Teil auch diese Briefe aufbewahrt. D. G. v. Heidenstam hat sie mit Erlaubnis der Schloßherrin, Gräfin Emilie Piper, vor einigen Jahren in Paris pipliziert. Die schlichten, warm und aufrichtig zu einem verständnisvoll teilnehmenden Wesen sprechenden Berichte ergänzen schön und klar, wenn auch nicht vollständig, das nur in zarten Umrissen erhaltene Bild der Lieben Fersens zur unglücklichsten Königin, die ihren Gegenstand mit einem Glorienschein umgab, einer Liebe, den sie niemals entweiht hat.
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während einer so schrecklichen Zeit mein Befinden ein sehr gutes ist. Am Freitag den 31. Juli um ½ 10 Uhr abends habe ich zum erstenmal eine Bewegung meines Kindes gespührt." Die heiße Sehnsucht acht banger Jahre hatte sich erfüllt . Was die junge Frau wochenlang der Kaiserin nicht zu berichten wagte, zitternd, der Wonnetraum könnte in nichts versinken, war Gewißheit geworden. Marie Antoinette war Mutter. " Ich kann meiner Liebe Mama gar nicht sagen," gesteht sie " wie jede neue Bewegung des Kindes mein Glück vermehrt. Seit dieser Zeit bin ich viel stärker geworden, mehr, als man es sonst nach fünf Monaten ist."
Auch in solcher Laune, in solcher Verfassung dürfte nicht oft ein Weib gefreit oder dem Gotte Eros zugänglich geworden sein. . Dennoch konnte Graf Fersen bald nach dem spontanen Willkommengruß, der ihm zuteil geworden, in Berichten vom 26. August und etwas späteren Datums seinem Vater mitteilen: " Die Königin ist reizend... Die Königin, welche die hübscheste und liebenswürdigste Dame ist, die ich kenne, hat die Güte, sich oft nach mir zu erkundigen. Sie hat Creutz gefragt, warum ich Sonntags nicht an ihren Spieltisch komme... Die Königen ist immer gütig gegen mich . Ich bezeuge ihr oft meine Ehrerbietung beim Spiel, und jedesmal richtet sie einige wohlwollende Worte an mich. Da man ihr von meiner ( schwedischen) Uniform gesprochen hat, gab sie ihren lebhaften Wunsche Ausdruck, mich darin zu sehen. Dienstag soll ich mich so gekleidet nicht bei Hofe, sondern bei der Königin einfinden. Es ist die liebenswürdigste Führstin, die ich kenne."
Marie Antoinette war sehr unvorsichtig. Mit der Raivität eines Backfischchens trägt diese ohne Liebe zur Mutter gewordene Frau von 22 Jahren die Empfindungen zur Schau, die sie zum erstenmal erfassen. Mit der erotischen Feinfühligkeit der Franzosen erkennen die Brüder Concourt ihre Biographen, in dieser Kindlichkeit ein Manifest der Reinheit. Keine raffinierte Kokette trägt ihre Gefühle vor lauernden Feinden so offenkundig in den Augen, wie Marie Antoinette es tat, keine in verstohlener Luft erfahrene Frau singt wie sie, vor dem lächelnden Hofstaat, die Blicke auf den Erwählten gerichtet, jubelnd die Worte aus der Oper " Dido": " Ah que je fus bien inspireé, Quand je vous reçus à ma cour!" - Dies tändelnde Liebesspiel in Trianon, bei kleinen traulichen Festen der Lamballe und der Polignae, währte fast drei viertel eines Jahres. Die Geburt der Madame Royal im Dezember fällt in diese Zeit. Graf Fersen war nicht weniger warm als seine geliebte Königin, aber vorsichtig, zurückhaltend für beide. Langsam und stetig wuchs seine Leidenschaft, von der er wußte, daß sie nicht unerwidert blieb. Ihr zu entfliehen , häßliche Gerüchte verstummen zu lassen, faßt er den Entschluß, der einem Ehrenmann seiner Art geboten erscheint: Er meldet sich zur Teilnahme an der französischen Expedition in Amerika , die damals projektiert wurde. Die Herzogin Fitz- James neckt ihn mit keckem Spott: " Quoi, monsieur, so verlassen Sie Ihre Eroberung?"- " Wenn ich eine gemacht hätte ," erwidert er abweisend, " verließe ich sie nicht. Ich gehe frei und leider ohne schmerzliches Bedauern zurückzulassen." Diese Worte konnten die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß in den letzten Tagen vor seiner Abreise nach dem Havre die Königin mit den Tränen kämpfte, wenn sie ihn ansah, was der Gesandte Schwedens in einem Schreiben vom 10. April 1779 seinen Souverän berichten zu müssen glaubte. In diesem Brief wird weiter vermeldet: " Ich muß Eurer Majestät anvertrauen, daß der junge Graf Fersen von der Königin so gern gesehen wurde, daß dadurch bei einigen Personen Verdacht erwacht ist. Der junge Graf Fersen hatte in dieser Situation ein bewundernswertes Verhalten durch seine Bescheidenheit, seine Zurückhaltung und vor allem durch den Entschluß, den er gefaßt hat, nach Amerika zu gehen. Seine Entfernung hat jede Gefahr beseitigt."
Ein moderner Beurteiler des " Freundes der Königigin" meinte: " Seine Abreise war weise, aber er durfte nicht wiederkommen." Nicht wiederkommen, nach vier Jahren der Trennung, wovon drei Kriegsjahre jenseits des Ozeans waren, nicht wiederkommen, nachdem der Friede mit England geschlossen wurde und alles heimwärts, frohem Wiedersehen entgegen. drängte , nicht wiederkommen trotz der in Entbehrung, Todesgefahr und mannigfacher Versuchung durch Frauenreiz unbesiegten Leidenschaft für die Eine, Unvergleichliche, das war über Menschenkraft. Graf Fersen kennt fortan nur ein Ziel: in Frankreich festen Fuß fassen. Er will Eigentümer und Befehlshaber des Regiments Rohal-Suédois weren, das in Valenciennes stationiert, von wo er leicht und unauffällig nach Paris kommen kann. Ueber diese Angelegenheit schreibt er am 27. Juni 1783 an seine Schwester : " Der Graf Creutz wird Dir sagen, was für mich in Aussicht genommen ist. Wenn es sich verwirklich kann, wären ich der Glücklichste der Menschen, wenn es ist nicht möglich ist, der Unglücklichste. Meine liebe Freundin, überrede den Vater, seine Zustimmung zu geben! Er würde das Glück meines Lebens begründen." Sein Wunsch geht in Erfüllung. Leiden ohne Zahl hat sie ihm gebracht, Opfer, Angst und Vezweifelung. Ob er entsagt, Frankreich für immer gemieden hätte, wenn ein Prophet, ein Cagliostro von echter Seherkraft, ihm das Ende des Weges hätte zeigen können, den er eingeschlagen? Nach allem, was wir von Fersen wissen, sicher nicht. Ein Idealismus, wie er auf Erden nur selten auftaucht, eine Feuerseele, wie sie in den Jünglingsestalten unseres Schiller wirkt, lebte in diesem äußerlich kühlen und gemessenen Sohn des Rordens. Er hätte in voller Vorsicht seiner Dornenbahn zweifellos den Augenblick gelebt im Paradiese, nicht den vernünftigen Verzicht gewählt.
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Blieb dieses ungestörte Beisammensein in den Grenzen einer nur geistigen Verbindung? Das Tagebuch des Grafen von 1788 bis 1791 wurde nach seinem Tode von Baron Taube, seinem Freund verbrannt. Die erhaltenen Briefe der Königin wiesen sorgfältig ausradierte Stellen auf. Staatsgeheimnisse? Geheimnisse der Liebe? Beides wurde behauptet. Das Unglück des Paares liegt offen zutage. Das furchtbare Ausmaß der Qualen, das durch das Schreckensgericht der Revolution über sie und ihn verhängt wurde, können wir beurteilen. Ihre spärlichen Freuden deckt ein Schleier. Kein historisches Ineresse heischt ihn zu beben.